Ein wenig scheinen sich die Wogen wieder geglättet zu haben. Wir erinnern uns kurz: Die Region Brüssel-Hauptstadt hatte über 160 Menschen aus dem geräumten "Palais des Droits" in der Rue des Palais in Schaerbeek in einem Hotel in Ruisbroek untergebracht. Der Haken: Ruisbroek gehört zur Gemeinde Sint-Pieters-Leeuw. Die liegt am Rand Brüssels, in der Provinz Flämisch-Brabant, also in Flandern.
Der gemeinschaftspolitisch gefärbte Sturm der Entrüstung ließ auch nicht auf sich warten. Dass der Brüsseler Ministerpräsident von der PS ist und die N-VA den Bürgermeister von Sint-Pieters-Leeuw, den Gouverneur von Flämisch-Brabant und natürlich einen guten Teil der flämischen Regionalregierung stellt, half sicher auch nicht. Wobei man sich durchaus viele Fragen stellen kann angesichts der Organisation und Kommunikation der Hotel-Aktion durch die Brüsseler Verantwortlichen. Der Bürgermeister von Sint-Pieters-Leeuw, Jan Desmeth, machte jedenfalls schon am Donnerstag keinen Hehl daraus, dass er die Flüchtlinge schnellstmöglich wieder loswerden will.
Eigentlich sollte daraufhin noch am Donnerstagabend eine erste Gruppe von 30 Personen aus dem Hotel in Fedasil-Unterkünfte gebracht werden – das verzögerte sich aber. Mittlerweile ist die Operation jedoch angelaufen, wie Desmeth der VRT gegenüber bestätigte: Etwa vier Gruppen sollten am Freitag an andere Orte gebracht werden, was die Zahl der verbleibenden Flüchtlinge und Obdachlosen in dem Hotel bis zum Wochenende etwa halbieren werde. Und nächste Woche werde die Umsiedlung weitergehen und abgeschlossen werden, bekräftigte der Bürgermeister.
Diese prioritäre Unterbringung in Fedasil-Unterkünften hat aber postwendend für Kritik gesorgt, unter anderem beim Brüsseler Ministerpräsidenten Rudi Vervoort. Man müsse sich ja schon fragen, ob es noch menschlich und moralisch vertretbar sei, dass Fedasil lieber Menschen aus Hotels umquartiere als sich um die Flüchtlinge zu kümmern, die auf der Straße schlafen müssten, so Vervoort sinngemäß im Brüsseler Regionalparlament. Außerdem verstehe er die Hysterie nicht, Fedasil bringe doch ständig Flüchtlinge in Brüsseler Hotels unter, ohne dass es so einen Aufstand gebe, so sein Tenor. Das flämisch-Brüsseler beziehungsweise PS-N-VA-Kriegsbeil scheint also nicht wirklich begraben zu sein.
Eine beziehungsweise schon zwei deutlich schlechtere Nächte als die Ruisbroeker Hotel-Flüchtlinge hatten aber jedenfalls die Ex-Haus-"Besetzer", die vor dem Brüsseler Asylzentrum "Petit-Château" und anderswo im Freien schlafen mussten. Um etwa 200 Menschen soll es sich bei dieser Gruppe handeln, denen wohlgemerkt von den Behörden eine Unterbringung zugesagt worden war. Sie scheinen zwischenzeitlich vor allem dank der Hilfe von Anwohnern und Freiwilligen über die Runden zu kommen. Wenig überraschend wird auch hier die prioritäre Hotel-Umsiedlung kritisch gesehen, beispielsweise von Vertretern der hier tätigen Ärzte der Welt.
Diese Kritik richtet sich wie gesagt an die Adresse von Fedasil und damit an die der föderalen CD&V-Asylstaatssekretärin Nicole de Moor. Und die kam am Freitag mit ihren Kollegen vom föderalen Kernkabinett zusammen, um über eine Reform der belgischen Flüchtlingspolitik zu sprechen: Eine große Zahl Personen verbleibe sehr lang in den Unterkünften von Fedasil, so die Asylstaatssekretärin vor Beginn des Treffens, die Prozeduren müssten verkürzt werden.
Für diese "Verkürzung" hat de Moor, mal wieder muss man sagen und sicher auch nicht als Erste, eine ganz bestimmte Gruppe im Visier: Nämlich bereits abgelehnte Asylbewerber, die versuchten, die Ausweisungsprozeduren in die Länge zu ziehen durch andere Anträge wie etwa auf Familienzusammenführung. Dadurch nähmen sie Menschen Unterbringungsplätze weg, die wirklich einen Anspruch darauf hätten. Laut Angaben von de Moor könnten etwa tausend Plätze freigemacht werden, wenn die bereits abgelehnten Asylbewerber schneller ausgewiesen würden.
Eine Zahl, die allerdings von anderen Koalitionspartnern bezweifelt wird. Insbesondere von den Grünen ist zu hören, dass die CD&V-Asylstaatssekretärin versuche, so durch die Hintertür eine härtere Asylpolitik durchzusetzen, dass ihre Reformvorschläge mit der Unterbringungskrise also nicht wirklich etwas zu tun hätten. Es scheint also, als ob auch auf föderaler Ebene eher Kriegsbeile aus- als begraben werden.
Boris Schmidt