Vier EU-Korrespondenten aus vier verschiedenen Ländern und Moderator Michael Stabenow, mittlerweile pensionierter EU-Korrespondent der deutschen Tageszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung - das ist das Rezept des Europäischen Presseclubs, der 2014 das erste Mal in der Vertretung des Landes Hessen bei der EU in Brüssel stattgefunden hatte. Zur 20. Ausgabe dieses Presseclubs waren diesmal Journalisten aus Schweden, Frankreich, Kroatien und Ungarn auf dem Podium, und natürlich Moderator Michael Stabenow.
"Natürlich kann ein Presseclub nicht dazu dienen, Lösungen für die großen Herausforderungen der Europäischen Union dieser Zeit zu formulieren", sagte Stabenow im Anschluss an die Diskussion im Gespräch mit dem BRF. Aber diskutieren kann ein Presseclub sehr wohl die Problemfelder, mit der sich die EU zurzeit auseinanderzusetzen hat.
Zentral dabei die Fragen: "Was folgt aus dem Krieg in der Ukraine? Und indirekt damit zusammenhängen: Wie ist das Verhältnis zwischen Amerikanern und Europäern? Die ja eigentlich Schulter an Schulter stehen müssen in dieser Auseinandersetzung mit Russland. Die sich aber derzeit politische Scharmützel leisten, wie die grünen Technologien, wie der Übergang zu klimafreundlichen Technologien am besten gelingen kann. Und da heißt die Lösung auf beiden Seiten Geld. Und die Frage ist: Lohnt es sich da wirklich, auf beiden Seiten Milliarden von Steuergeldern hineinzustecken?"
Zumal das Geld nicht wirklich vorhanden ist, worauf besonders Angélique Bouin von Radio France hinwies. Was Frankreich allerdings nicht daran hindert, ein Motor des europäischen Programms für klimafreundliche Technologien zu sein.
Ukraine
Daneben bleibt die Ukraine das beherrschende Thema. "Ukraine, Ukraine, Ukraine", antwortete der schwedische Journalist Bengt Ljung auf die Frage, welche Priorität die aktuelle schwedische Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2023 verfolgen will. Die große Einheit der europäischen Staaten bei der Unterstützung der Ukraine wurde von allen Journalisten betont. Auch der Nebeneffekt des Ukraine-Kriegs, dass der langjährige Störenfried im Konzert der EU-Staaten, der ungarische Premierminister Viktor Orban, wegen seiner tendenziell weiter pro-russischen Haltung immer deutlicher isoliert zu sein scheint innerhalb der Gemeinschaft. Was das Grunddilemma der EU allerdings nicht aus der Welt schafft.
"Es bleibt natürlich, dass so ein Laden mit 27 Mitgliedstaaten sehr sehr schwer zu managen ist. Und wir sehen auch, dass populistische, rechtspopulistische Strömungen nach wie vor an Einfluss gewinnen", sagt Michael Stabenow. Das schwierige Managen der 27 Mitgliedstaaten werde am bevorstehenden EU-Gipfel wieder einmal verdeutlicht: Zwar werden sich die EU-Staats- und Regierungschefs mit dem Thema Migration erneut beschäftigen. Die dringend nötigen Entscheidungen würden aber auch diesmal nicht getroffen werden, kündigten die Journalisten an, weil sich die Staaten eben nicht auf eine gemeinsame Linie einigen könnten.
Wahlkampf
Bezogen auf die rechts-populistischen Parteien sei schon jetzt zu beobachten, wie stark die Angst vor ihnen das Verhalten der Fraktionen im Europaparlament beeinflusse. Gerade die große bürgerlich-konservative Fraktion der EVP sei dabei, sich nach rechts zu öffnen, sagt Stabenow. "Es kann sein, dass es nach der nächsten Wahl eine bürgerliche Mehrheit gibt. Das wäre das erste Mal, also aus konservativen und liberalen Parteien in Europa. Das hat es bisher nicht gegeben. Bisher musste man immer Sozialdemokraten einerseits haben, die sehr lang die stärkste politische Gruppierung war im Europäischen Parlament, und den Christdemokraten, die jetzt in den vergangenen 20 Jahren immer die Nummer eins waren."
Klar sei auf jeden Fall, dass der Wahlkampf für die Europawahlen im kommenden Jahr bereits jetzt auch auf europäischer Ebene schon langsam beginnt. "Der Wahlkampf beginnt jetzt. Man sieht es daran, dass es innerhalb der EVP-Parteienfamilie Überlegungen gibt, wer denn der geeignete Spitzenkandidat für die Europawahl sein könnte."
Denn dass die EVP die aktuelle Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von der CDU auch für eine zweite Amtszeit an der Spitze der Kommission sehen möchte, sei zurzeit in Frage gestellt. Da gebe es Machtspiele, bei denen der EVP-Fraktionschef, der deutsche CSU-Politiker Manfred Weber, eine tragende Rolle spiele.
Korruptionsskandal
Ob der Korruptionsskandal im Europäischen Parlament die Wahlen negativ beeinflussen werde, darüber waren sich die EU-Korrespondenten beim Hessener Presseclub nicht sicher: "Hier heute Abend kam zum Ausdruck, dass wir erst einmal abwarten müssen, was versteckt sich hinter diesem Dossier. Ist das etwas Systemisches? Sind das Einzelfälle? Es geht ja um einige Abgeordnete aus einer Fraktion auch. Aus der sozialdemokratischen Fraktion wohlgemerkt. Hat das etwas, das dem Ansehen der anderen Fraktionen, dem Europäischen Parlament insgesamt oder gar der Europäischen Union schaden kann? Da haben sie gesagt, das war so der Tenor: Warten wir es erst einmal ab. Aber ich hatte den Eindruck, dass nicht die Befürchtung besteht, dass das nachhaltig das Bild der Europäischen Union verändern und schädigen wird."
Es brennt zurzeit nicht lichterloh in der EU. Gerade in Bezug auf die Ukraine raufen sich die Mitgliedstaaten zusammen. Doch daneben gibt es weiter auch viel Uneinigkeit, viel Gesprächsbedarf innerhalb der Union und auch nach außen. Bei so einem Gebilde wie der EU kann das wahrscheinlich auch nie anders sein.
Kay Wagner