Es ist und bleibt erstmal eine tragische Geschichte. Auf den Titelseiten einiger flämischer Zeitungen sieht man am Mittwoch das Foto der kleinen Firdaous. "Die ermordete Unschuld", schreibt Gazet van Antwerpen, also die "Hauszeitung" der Scheldestadt.
Und das bringt es wohl auf den Punkt. Firdaous ist, soweit man weiß, das erste unschuldige Opfer im Antwerpener Drogenkrieg. Das elfjährige Mädchen war zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Fassade ihres Elternhauses war am Montagabend von unbekannten Tätern beschossen worden. Drei Kugeln durchschlugen das Garagentor, dahinter stand Firdaous, die tödlich getroffen wurde.
Allgemein besteht kaum ein Zweifel daran, dass dieser Vorfall im Zusammenhang steht mit der Drogengewalt in Antwerpen. Der Anschlag galt wahrscheinlich nicht den Eltern des Mädchens, die haben laut Polizeiinformationen wohl nichts mit der Drogenmafia zu tun. Es gibt da aber noch einen Onkel, den Bruder der Mutter von Firdaous. Und dieser Othman El B. gilt in Ermittlerkreisen als "der Drogenschmuggler Nummer eins" in Belgien. Verurteilt wurde er allerdings nie. Dieser Othman El B. wohnt seit Jahren in Dubai, von wo aus er anscheinend seine Geschäfte regelt.
Wegen dieser familiären Bande zwischen dem toten Mädchen und einem mutmaßlichen Drogenbaron befürchten einige Experten denn auch eine neue Eskalation der Gewalt. Ein Todesopfer, das sei natürlich eine neue Dimension, sagte in der VRT der Anwalt John Maes, der in mehreren Drogenprozessen als Strafverteidiger aufgetreten ist. "Und das kann zu neuer, noch brutalerer Gewalt führen. Das ist jedenfalls das, wovor wir jetzt Angst haben", sagt der Anwalt.
Tiefe Sorgenfalten also in Antwerpen, angefangen bei Bürgermeister Bart De Wever. Der reagierte ausgesprochen aufgebracht auf den Tod der kleinen Firdaous. Eine solche Tragödie habe man doch leider längst kommen sehen. Schon seit Jahren beknie er die Föderalregierung und verlange nachdrücklich mehr Mittel für Polizei und Justiz, beklagte der N-VA-Vorsitzende auf allen Kanälen. Jetzt müsse aber echt was passieren. "Dass man Leute mobilisiert, meinetwegen auch innerhalb der Polizeidienste in anderen Provinzen", sagte De Wever im Antwerpener Regionalsender ATV. "Schickt Leute in den Hafen, um ihn zu bewachen, notfalls die Armee."
Den Antwerpener Hafen durch die Armee bewachen lassen? Diese Idee kommt bei den zuständigen Föderalministern erstmal nicht so gut an. Er höre da gerade alle möglichen Forderungen, sagte Justizminister Vincent Van Quickenborne in der VRT. "Wir sollen den Nationalen Sicherheitsrat einberufen. Oder eben Soldaten in den Hafen schicken. Nur sind Soldaten einfach nicht dafür ausgebildet. In einem Staat, in dem die Armee Polizeiaufgaben übernimmt, will man nicht leben", sagt Van Quickenborne.
Ablehnendes Kopfschütteln auch bei Innenministerin Annelies Verlinden. Auch sie hält einen Einsatz der Armee in diesem War on Drugs erstmal für falsch. Ihre Argumentation ist die gleiche: Die Armee sei für solche Aufgaben nicht ausgebildet, sagte Verlinden in der VRT. Und zu diesem Schluss sei eigentlich De Wever selbst im vergangenen Sommer auch schon gekommen.
All das heiße aber bestimmt nicht, dass man keinen Handlungsbedarf sehe, unterstreicht Justizminister Van Quickenborne. Und es sei ja auch nicht so, als wäre da noch nichts passiert. Diese Regierung habe das Personal der Antwerpener Kriminalpolizei um 15 Prozent aufgestockt. Es wird eine spezielle Drogenstaatsanwaltschaft ins Leben gerufen; mit einem eigens dafür abgestellten Hafen-Prokurator. Und auch das Hafenpersonal wird künftig konsequent von der Sûreté überprüft.
Darüber hinaus wolle man sich jetzt vor allem auf das "Verdienstmodell" der Banden konzentrieren, sagt Van Quickenborne. Konkret: Im Moment geht man davon aus, dass rund elf Prozent der Drogen beschlagnahmt werden, die im Antwerpener Hafen ankommen. Wenn man diesen Anteil auf 20 Prozent anheben kann, dann würde die Scheldestadt laut Europol für Drogenschmuggler unattraktiv. Deswegen sollen also die Kontrollen im Hafen noch weiter verschärft werden. Dennoch hat die Diskussion über eine Verschärfung des War on Drugs wohl gerade erst begonnen.
Roger Pint