Fünf Tage noch, dann ist das Jahr 2022 vorbei. Nur hatte Premierminister Alexander De Croo eigentlich versprochen, dass bis Ende dieses Jahres ein Abkommen mit dem Atomkraftwerksbetreiber Engie vorliegen würde, das die geplante Laufzeitverlängerung von zwei Reaktoren festklopfen sollte.
Eigentlich sollten die letzten Atomkraftwerke 2025 vom Netz gehen, so steht es übrigens immer noch im Gesetz. Anfang des Jahres hatte man sich aber schon die Frage gestellt, ob das mit dem Atomausstieg wirklich eine so gute Idee ist - allerspätestens nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Denn damals stiegen die Energiepreise rasant an und man konnte auch schon ahnen, dass mittelfristig wohl kein Verlass ist auf russische Gaslieferungen.
Im Frühjahr reifte also der Gedanke, dass man die Laufzeit der beiden jüngsten Reaktorblöcke Doel 4 und Tihange 3 noch ein letztes Mal verlängern könnte. Für die Grünen wäre das noch ein paar Monate zuvor undenkbar gewesen. Aber sogar die Grünen lenkten ein.
Belgischer Schleuderkurs
Nur reicht es nicht, dass die Regierung sich für eine Laufzeitverlängerung entscheidet. Danach musste sie noch den Betreiber Engie überzeugen. Und das war und ist offensichtlich gar nicht so einfach, weil die Energiekonzerne die Atomenergie eigentlich schon abgeschrieben hatten. Engie-Electrabel, das die belgischen Kernkraftwerke betreibt, wollte diese Seite eigentlich umblättern.
Eigentlich hatte das Parlament schon 2003 den Atomausstieg beschlossen. Das Problem in Belgien ist allerdings, dass die verschiedenen Regierungen in der Energiepolitik immer schon einen Schleuderkurs hingelegt haben, nach dem Motto "heute so, morgen so". Wirkliche Planungssicherheit gab es da nicht und irgendwann hat dann Engie gesagt: Wir machen jetzt Nägel mit Köpfen, wir steigen aus - und dann wurden auch alle Weichen in diese Richtung gestellt.
Dennoch gab es am Tag nach dem Nationalfeiertag im Juli ziemlich überraschend doch schonmal ein Grundsatzabkommen. Darin erklären sich beide Seiten, die Regierung und Engie-Electrabel, bereit, gemeinsam an der Laufzeitverlängerung zu arbeiten. Das war aber nicht mehr als eine Absichtserklärung. Engie muss eigentlich immer noch erst davon überzeugt werden, die zwei Reaktoren weiter zu betreiben.
Nun ist die Regierung in einer "'unglücklichen" Ausgangsposition: Auf der einen Seite will sie die Übergewinne der Energiekonzerne abschöpfen und gerade Engie jetzt nochmal so richtig zur Kasse bitten. Auf der anderen Seite will sie aber auch etwas: die Verlängerung von Doel 4 und Tihange 3.
Das Unternehmen hat sehr wohl verstanden, dass es eigentlich in der Position ist, den Preis zu bestimmen. Noch vor einigen Tagen hat sich Thierry Saegeman, der Geschäftsführer von Engie-Electrabel, in der RTBF geäußert. Und da konnte man schon die Windrichtung heraushören. "Die Atomkraftwerke werfen in diesem Jahr einen Gewinn von zwei Milliarden ab. Davon müssen wir 1,3 Milliarden in Form von Steuern wieder abgeben", sagt der Engie-Belgien-Chef.
"Hinzu kommen dann nochmal die sogenannten 'nuklearen Provisionen', die sich auf 3,3 Milliarden belaufen. Unsere Nuklearsparte schreibt in diesem Jahr also rote Zahlen." Der Engie-Chef erwartet also mehr als ein paar warme Worte.
Preisschildchen
Erschwerend kommt hinzu, dass es bei den Verhandlungen nicht nur um die beiden Reaktorblöcke geht, sondern auch schon um die Zeit danach - um die Kosten für den Rückbau der Anlagen und die Endlagerung des Atommülls. Beobachter sehen hier die Gefahr, dass Belgien sich über den Tisch ziehen lässt.
Als Betreiber muss Engie diese Kosten für Rückbau und Endlagerung tragen. Nur will das Unternehmen wissen, mit wieviel Geld es da rechnen muss. Jeder weiß, dass das enorme Kosten sein werden - und wenn die Regierung hier den Preis zu niedrig ansetzt, dann ist es am Ende der Steuerzahler, der dafür aufkommen muss. Es geht potenziell um sehr viel Geld. Und ausgerechnet jetzt ist die Regierung eben in der Bittsteller-Position.
Im Prinzip wäre es auch kein Beinbruch, wenn die Regierung dieses Abkommen zwei Wochen später präsentiert als zum angekündigten Zeitpunkt. Premierminister De Croo legt allerdings Wert darauf, dass er die Fristen, die er ankündigt, auch einhält. Anscheinend wird jedenfalls im Moment noch fleißig weiterverhandelt.
So oder so drängt die Zeit: Engie hat immer gesagt, dass es bis zu vier Jahre dauern kann, bis die Reaktorblöcke wieder sicher ans Netz gehen können. Für den Winter 2026-27 will man aber schon wieder mit den beiden Meilern rechnen können.
Roger Pint