Eine WM definitiv nicht wie jede andere: Über die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar gibt es so viel Diskussionsstoff, dass man eigentlich gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Im Grunde begann alles schon mit der Vergabe: 2010 bekam das Emirat Katar den Zuschlag für die Austragung des Großereignisses im Jahr 2022.
Inzwischen gibt es kaum noch Diskussionen darüber, dass die WM in Katar - wie auch die in Russland 2018 - gekauft war. Selbst der Fußball-Weltverband FIFA hat das indirekt - wahrscheinlich unabsichtlich - eingeräumt. Es fehlt allerdings noch ein gerichtliches Urteil, das diesen Verdacht ein für alle Mal bestätigen würde.
Tote auf den Baustellen
Viel schlimmer war aber das, was später auf den Baustellen passierte, wo die WM-Stadien aus dem Wüstenboden gestampft wurden. Die Arbeiter wurden wie Sklaven behandelt. Laut Schätzungen sind mehr als 6.500 von ihnen ums Leben gekommen. Die meisten von ihnen aus Indien, Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka.
Hinzu kommt dann noch die allgemeine Menschenrechtslage. Die Fakten sind soweit bekannt: Frauen werden systematisch benachteiligt, die Meinungsfreiheit ist eingeschränkt - insbesondere in religiösen Belangen und Homosexualität ist gesetzlich verboten.
Klima und Energiekrise
Und nicht zu vergessen: der klima- und energiepolitische Kontext. Eine Fußball-WM in einem Wüstenstaat? Mit Spielen in klimatisierten Stadien? Und das in einer Zeit, in der doch Klimaschutz großgeschrieben werden müsste? Das war eigentlich 2010 bei der Vergabe schon nicht zu verkaufen, geschweige denn jetzt. Zumal die halbe Welt aktuell auch noch unter einer schlimmen Energiekrise ächzt.
Es gibt jedenfalls Gründe genug, um dieses Ereignis zu ignorieren bzw. dann auch zu boykottieren, sind Kritiker überzeugt. "La Maison du Peuple", eine bekannte Kneipe in der Brüsseler Stadtgemeinde St. Gilles, macht jetzt Nägel mit Köpfen: Es gibt soziale, ethische und ökologische Missstände, die man eigentlich gar nicht ausführen muss, sagte Emmanuel Simonis, einer der Geschäftsführer des "Maison du Peuple", im Brüsseler Regionalsender BX1. "Und für uns war das des Schlechten zu viel."
"Wir haben beschlossen, dass wir rund um diese WM keine Geschäfte machen wollen", sagte Co-Geschäftsführer Thomas Kok, in der RTBF. "Für uns ist diese Weltmeisterschaft kein Fest. Wir sprechen da für uns, jeder macht natürlich, was er will. Aber wir machen da nicht mit."
Kein Public Viewing
Fest steht: Im "Maison du Peuple" wird man die WM-Spiele nicht sehen können. Und die Kneipe ist nicht allein. Immer wieder liest und hört man von Gaststätten, die sich ebenfalls für einen Boykott entscheiden.
Andere Kneipenbetreiber wollen sich demgegenüber zu dem Thema am liebsten gar nicht äußern, da sie sich gezwungen sehen, sich den wirtschaftlichen Zwängen zu beugen. Schließlich muss irgendjemand ja die Energierechnung bezahlen. "Und das sei auch völlig legitim", sagen die Betreiber des "Maison du Peuple", die ja betonen, dass ihre Entscheidung rein persönlicher Natur sei.
Viele Gemeinden hingegen haben sich ebenfalls schon gegen die WM entschieden. Die Liste der Kommunen, die keinen Großbildschirm und kein Public Viewing auf ihrem Territorium genehmigen wollen, ist lang und sie wird mit jedem Tag länger.
Zur Begründung werden neben der allgemeinen Kritik am Gastgeberland Katar oft auch praktische Argumente genannt, nach dem Motto: Terrassen zu heizen im Winter und dann auch noch mitten in einer Energiekrise, das wäre schlicht und einfach absurd.
Späte Einsicht bei den Sponsoren
Bezeichnenderweise haben aber sogar die Sponsoren der Roten Teufel Bauchschmerzen angesichts der WM. Die ING-Bank etwa wird in Katar keinerlei Präsenz zeigen. Das Firmenlogo werde nur im Trainingslager und dann eben auf den Trikots der Spieler zu sehen sein, sagte ING-Sprecher Renaud Dechamps in der RTBF.
Ziemlich genau das gleiche sagte auch Haroun Fenaux, Sprecher von Proximus: "Keine Aktivitäten vor Ort".
Das alles kommt leider reichlich spät, beklagte Philippe Hensmans von Amnesty International in der RTBF. Die Vergabe der WM fand 2010 statt. Hätte man damals einen solchen Druck aufgebaut, dann hätten die Arbeitsmigranten beim Bau der Stadien vielleicht nicht sterben müssen.
Roger Pint