Fida Mohissen ist heute 50 Jahre alt. Aufgewachsen ist er in Syrien. Mit Mitte 20 kam er nach Frankreich. Damals sei er ein junger, wütender Mann gewesen, sagte er in der RTBF in einem doch bemerkenswerten Interview. Wütend, weil er ein Produkt seiner Zeit und der Region war, in der er seine Kindheit und Jugend verbracht hatte.
In Syrien sei er ein Moslem wie jeder andere gewesen, sagt Fida Mohissen. Erzogen wurde er in dem Geist, dass Politik und Religion im Grunde Äste des gleichen Baumes sind, dass sie sich gegenseitig beeinflussen.
Hinzu kam dann aber, dass die 1970 und 80er Jahre in der arabischen Welt die Zeit eines bösen Erwachens gewesen seien. Überall entstanden Diktaturen, die oft durch die Großmächte und insbesondere den Westen geduldet bzw. im Amt gehalten wurden. "Und so entstand in den Köpfen eine zweipolige Welt: Auf der einen Seite der Westen, auf der anderen Seite wir, der Orient. Das war nicht ein religiöser, sondern ein politisch motivierter Gedanke: "Für uns kam alles Schlechte aus dem Westen."
Anschläge von New York und Washington
Und so entstand ein explosives Gemisch im Kopf: Die politische Ablehnung des Westens bekommt gewissermaßen auch eine religiöse Komponente, weil ja Politik und Religion ineinander übergehen. Und ja, er habe sich tatsächlich auch irgendwann als junger Mann vom Dschihad, vom Heiligen Krieg angezogen gefühlt. Zum Beispiel während des jugoslawischen Bürgerkrieges, als auf dem Balkan Moslems getötet wurden. Da habe er sich gesagt: "Ich kann da doch nicht tatenlos zusehen."
Am 11. September 2001 saß dieser, damals dann schon nicht mehr ganz so junge, wütende Mann, also in seinem Wohnort Paris vor dem Fernseher und verfolgte die Berichterstattung über die Anschläge von New York und Washington. "Wir wollen da mal nichts schön reden: Ja, ich war glücklich zumindest in meiner Welt und ich habe unentwegt 'Allahu akbar' gerufen", sagt Fida Mohissen.
Doch hat genau dieses Ereignis ihn dann doch umdenken lassen. "Das war ein langsamer, schleichender Prozess", sagt Fida Mohissen, denn irgendwann bekamen die Opfer ein Gesicht. Auslöser war ein Dokumentarfilm über den 11. September, in dem die Geschichte einiger Opfer erzählt wurde. Man sieht diese Menschen in glücklicheren Zeiten, umringt von ihrer Familie. Dann aber auch ihre letzte SMS: "Ich liebe Dich, Mama". Und da seien ihm die Tränen gekommen.
Hoffnung
Irgendwann habe er sich gesagt: "Das kann Gott so nicht gewollt haben. Das waren plötzlich keine Zahlen mehr, das waren Menschen, das waren Brüder und Schwestern, das war ich selbst", sagt Fida Mohissen. Und dann zitiert er, der ehemalige Dschihadist, den jüdisch-französischen Philosophen Emmanuel Lévinas: "Im Gesicht des anderen blickt mich die ganze Menschheit an und sagt: 'Du wirst nicht töten'."
Eine "klassische Läuterung" also. Und dann, als am 13. November 2015 Terroristen in "seiner" Stadt Paris zuschlugen, im Namen seines Gottes 130 Menschen töteten und fast 700 verletzten, da seien wirklich alle Grenzen überschritten worden. Und da habe er sich entschlossen, zu schreiben. Jemand, der etwas zu sagen hat, der die Entwicklung durchgemacht hat, die er durchgemacht hatte, der dürfe nach einem solchen Ereignis nicht mehr schweigen.
Daraus ist ein Theaterstück entstanden: "Shahada". Das arabische Wort hat mehrere Bedeutungen: Erstmal ist es das islamische Glaubensbekenntnis, es kann aber auch einfach nur "Zeugnis ablegen" bedeuten. Und genau das wolle er tun. Er wolle in diesem Stück den Prozess beschreiben, wie sich ein Geist und auch ein Körper von alten Fesseln befreien können.
Die Motivation islamistischer Attentäter werde man wahrscheinlich nie verstehen können. Er wolle einfach nur seinen ganz persönlichen Beitrag leisten - mit einer kleinen Prise Hoffnung.
Roger Pint
Wer den Willen Gottes für sich beansprucht, unterliegt einer Selbsttäuschung. Unabhängig von der Religion.