Und wieder eine wallonische Affäre? Das klingt erst einmal danach, dass man im Grunde nur landläufige Klischees zu bestätigen versucht. Aber die Enthüllungsgeschichte der Zeitung Le Soir klingt wirklich wie ein klassisches Déjà-vu.
Der Hauptakteur ist kein geringerer als der "Greffier" des wallonischen Parlaments, Frédéric Janssens. Grob gesagt ist das der Chef der Verwaltung des Abgeordnetenhauses in Namur. Rund 100 Mitarbeitern steht er vor.
Sein Führungsstil ist innerhalb des hohen Hauses umstritten: Mobbing, Demütigungen, Drangsalierung - die Liste der Beschwerden ist lang.
Die Vorwürfe kommen offenbar nicht aus heiterem Himmel. Eine externe Beratungsfirma, die die Parlamentsverwaltung vor einiger Zeit durchleuchtete, hatte schon Beschwerden über den "Greffier" erhalten.
Zwar betont Parlamentspräsident Jean-Claude Marcourt in Le Soir, dass die damals formulierten Empfehlungen umgesetzt worden seien. Doch scheint das nicht alle Probleme gelöst zu haben.
"Terrorherrschaft"
Fakt ist, dass ein Mitarbeiter im Sommer wieder Beschwerde einlegte, diesmal beim Arbeitsgericht in Namur. Die Vorwürfe: Mobbing und Gewalt am Arbeitsplatz.
Journalisten haben in der Folge in der Angelegenheit recherchiert und mit Personalmitgliedern gesprochen. Viele sprechen von einer regelrechten Terrorherrschaft. Zwar wollen die Zeugen allesamt anonym bleiben, es gibt aber eine explosive Tonaufnahme, die der Zeitung Le Soir vorliegt. Und darin ist zu hören, wie Frédéric Janssens ein Personalmitglied doch ziemlich deutlich bedroht.
Erst spricht er noch von einem anderen Mitarbeiter, der derzeit wegen Burnouts krankgeschrieben ist. "Abserviert" habe er ihn, sagt Janssens, "aus dem Weg geräumt, mit ganz üblen Mitteln". "Und willst Du, dass ich das gleiche mit dir mache?", wendet er sich dann an das Personalmitglied und wörtlich fügt er hinzu: "Gegen Mittag liegst du in der Leichenhalle".
Viel Interpretationsspielraum gibt es da wohl nicht. Von Le Soir darauf angesprochen, will sich Janssens zunächst nicht an die Szene erinnern. Er räumt aber ein, dass er zuweilen die Contenance verliere. Fakt ist jedenfalls, dass die Zahl der Burnouts und krankheitsbedingten Ausfälle innerhalb der Parlamentsverwaltung außerordentlich hoch ist. Janssens selbst erklärt das mit der fragwürdigen Arbeitsmoral bei seinen Mitarbeitern.
Explosion der Ausgaben
Die Personalführung des Verwaltungschefs, das ist aber nur ein Aspekt. Wie Le Soir weiter berichtet, stehe zudem "die Bankkarte des Parlaments kurz vor der Überhitzung". Zunächst einmal hat das Blatt festgestellt, dass bei einigen wichtigen Bauprojekten das ursprünglich veranschlagte Budget weit, manchmal sehr weit überzogen wurde: Manchmal haben sich die Kosten verdoppelt, manchmal auch verdreifacht.
Das wallonische Parlament ist da zwar kein Einzelfall. Doch glaubt Le Soir da einen Trend zu erkennen - eine allgemeine Explosion der Ausgaben.
Andere Vorwürfe betreffen derweil das Finanzgebaren von Frédéric Janssens persönlich. Um Ostern 2015 war er etwa für zehn Tage im Urlaub in Costa Rica. Nach seiner Rückkehr stellte er dem Parlament aber doch beeindruckende Telefonkosten in Rechnung: Knapp 25.000 Euro. 237 Mal wurden Roaming-Gebühren berechnet. Nun, er stehe dem Parlament immer zur Verfügung, auch im Urlaub, rechtfertigte sich Janssens.
Mangel an externer Kontrolle
Und dann gibt es noch Hinweise auf eine mögliche Manipulation einer Öffentlichen Ausschreibung. Bei der zuständigen Abteilung für Korruptionsbekämpfung der föderalen Polizei ist anscheinend jedenfalls ein entsprechender anonymer Hinweis eingegangen.
Im Mittelpunkt steht eine neue Software, die im wallonischen Regionalparlament eingeführt wurde. Offenbar war es so, dass sich die Verwaltung nicht für das günstigste Angebot entschied. Außerdem soll ein externer IT-Berater des Parlaments zugleich Geschäftsführer der Firma gewesen sein, die am Ende den Zuschlag bekommen hat. Er bekam also Einblicke, die die Konkurrenz nicht hatte.
Das alles muss tatsächlich nichts heißen. Bis zum Beweis des Gegenteils kann all das, was Le Soir da auflistet, zu erklären und zu rechtfertigen sein. Was die Zeitung kritisiert, das ist vor allem der totale Mangel an externer Kontrolle. Da können Unsummen ausgegeben werden - Geld, das die Region im Grunde gar nicht hat und niemand schaut da mal genauer hin.
Und hier sehe man wieder genau die gleichen Zutaten, die freilich in ganz anderen Dimensionen auch in der Nethys-Affäre enthalten waren: Ein allmächtiger Chef, der quasi im luftleeren Raum agieren könne.
"Man erwarte jetzt jedenfalls Antworten auf die aufgeworfenen Fragen", meint Le Soir. Antworten, die nur das sogenannte "Büro" des Parlaments liefern kann, also das politische Aufsichtsgremium, in dem alle Mehrheitsparteien vertreten sind.
Roger Pint
Warum die Aufregung. Skandal ist Normalzustand in der Wallonie.