Bislang haben fünf Runden des Brüsseler Bürgerparlaments stattgefunden, unter anderem zu den Themen 5G, Obdachlosigkeit und Biodiversität. Auch in Brüssel werden die Personen, die an diesem Forum teilnehmen dürfen, per Los bestimmt. Insgesamt 45 zufällig ausgewählte Menschen über 16 Jahren können so - und das ist ein Unterschied zur Deutschsprachigen Gemeinschaft - mit 15 Politikern über ein spezifisches Thema diskutieren und Empfehlungen verfassen.
Mittlerweile ist aber auch teils scharfe Kritik geäußert worden am Ablauf dieser Gesprächsrunden. Céline Fremault von den Engagés etwa bezeichnete den Umgang mit den Empfehlungen als mittelmäßig. Für Cieltje Van Achter von der N-VA ist der gesamte Prozess zu amateurhaft und zu teuer - die fünf Runden haben bis jetzt 700.000 Euro gekostet. Die N-VA macht mittlerweile auch nicht mehr mit beim Projekt Bürgerparlament.
Geoffrey Coomans de Brachène von den frankophonen Liberalen MR beklagte, dass sich die Initiative über die Bürger lustig mache. Er selbst habe die Hälfte der Zeit damit verbracht, im Parlamentsgarten zu warten, während die Teilnehmer die Ideen der Politiker abgeschrieben hätten.
Allerdings gibt es auch Politiker, die eine positivere Bilanz ziehen: Die PS beispielsweise bewertet das Projekt insgesamt als gute Erfahrung, fordert allerdings dennoch eine Anpassung des Systems, insbesondere, was den Umgang mit Empfehlungen angeht. Und die Grünen von Ecolo schließlich, die das Bürgerparlament aus der Taufe gehoben hatten, betonen, wie viel Unterstützung das Projekt erhalten habe. Das sei ein wichtiger Anfang, so die Ecolo-Politikerin Magali Plovie.
Auch Experten haben sich mit dem Bürgerparlament auseinandergesetzt, unter anderem Jean-Benoît Pilet, seines Zeichens Professor für Politikwissenschaften an der Freien Universität Brüssel ULB. Ausschlaggebend sei, wie am Ende mit den Empfehlungen umgegangen werde, so Pilet in der Zeitung La Libre Belgique.
Wie wichtig die Art und Weise ist, wie mit den Empfehlungen umgegangen wird - beziehungsweise, dass diese auch umgesetzt werden - hatte auch schon Parlamentspräsident Lambertz bei der Vorstellung des Bürgerdialogs in Ostbelgien 2019 unterstrichen. In der Praxis zeigt sich sich aber, dass das im Endeffekt doch nicht in jedem Fall so einfach ist.
Wenn man ein solches Bürgerparlament schaffe, dann müsse man sich auch über die restliche Demokratie Gedanken machen, so Pilet in La Libre weiter. Sein persönlicher Vorschlag sei, in Referenden über die Vorschläge abstimmen zu lassen. Dazu gäbe es in Belgien die Möglichkeit, allerdings sei das Ergebnis nicht verpflichtend.
Pilet nennt aber auch zwei Gefahren: Entweder sage die Politik, dass ihr das zu vage sei und mache deshalb nichts. Oder aber sie finde die gemachten Vorschläge zu heikel und kehre sie einfach unter den Teppich. Keine der beiden Vorgehensweisen sei das richtige Signal an die Bevölkerung, so die Warnung des Politikprofessors.
ale/schb
Bürgerdialog und ähnliches mögen gut gemeint sein. Nur das Ei des Kolumbus sind sie nicht. Man kann es drehen und wenden wie man will, es gibt nichts besseres als direkte Demokratie nach Schweizer Modell.