Nach außergewöhnlich starken Regenfällen treten am 14. Juli 2021 erste Flussläufe über die Ufer. In kürzester Zeit versinken ganze Stadtzentren in den Fluten; Straßen verwandeln sich in reißende Sturzbäche.
"Innerhalb kürzester Zeit stand alles unter Wasser", "Unfassbar, so etwas habe ich noch nie gesehen". Fassungslosigkeit bei vielen Einwohnern, die eigentlich gar nicht wissen, wie ihnen geschieht. In einigen Städten und Gemeinden an Weser und Ourthe spitzt sich die Lage dramatisch zu. Vor allem Pepinster wird zum Sinnbild für die Katastrophe. Menschen müssen stundenlang auf den Dächern ihrer Häuser ausharren, weil es die Hilfskräfte nicht schaffen, zu ihnen zu gelangen. Teilweise live vor den Fernsehkameras spielen sich Tragödien ab, etwa, als ein Boot mit Evakuierten an Bord in den reißenden Fluten umschlägt. Nur die Feuerwehrleute können sich retten. Die reine Apokalypse.
Die Bilanz ist einfach nur schrecklich: 39 Menschen kommen bei der Katastrophe ums Leben. Der Sachschaden ist gigantisch. Tausende Menschen verlieren ihr Zuhause, zehntausende Häuser und Wohnungen werden teils schwer beschädigt.
Rettungskräfte haben getan, was sie konnten
In der Rückschau würde sie sagen, dass in der akuten Krisenphase aber keine wirklichen Fehler gemacht worden seien, sagte Innenministerin Annelies Verlinden in der VRT. Die Rettungskräfte hätten schlicht und einfach getan, was sie konnten. Die Lage vor Ort sei eben so gefährlich gewesen, dass man nur eine begrenzte Zahl von Booten einsetzen konnte. Auch Helikopter hätten zeitweise nicht fliegen können. Das bedeutet nicht, dass sich die Innenministerin auf die Brust klopft. Es ist wohl eher ein Eingeständnis einer gewissen Ohnmacht. Belgien war auf eine solche Katastrophe nicht vorbereitet.
Natürlich wurde und wird die Katastrophe aufgearbeitet, natürlich sind die verschiedenen zuständigen Behörden dabei, die Lehren daraus zu ziehen. Die vielen tausend Betroffenen der Katastrophe fühlen sich aber größtenteils nach wie vor im Stich gelassen. In vielen Ortschaften kommen die Wiederaufbaumaßnahmen nur schleppend in Gang. Viele Privatpersonen warten immer noch auf Hilfe.
Viel zu schwerfällige und langwierige Prozeduren
Er könne die Wut der Menschen wirklich verstehen, sagte der wallonische Ministerpräsident Elio Di Rupo in der RTBF. Einige hätten geliebte Menschen verloren, das sei natürlich die schlimmste aller Tragödien. Aber auch die anderen, die vor den Scherben ihrer Existenz stehen. Natürlich wünschten sich all diese Leute schnelle Lösungen. Die Wallonische Region setze aber tatsächlich auch alle Hebel in Bewegung, um den Betroffenen zu helfen. Dass das nicht schneller gehe, sei nicht immer die Schuld seiner Regierung, fügte Di Rupo hinzu. Die Prozeduren seien einfach viel zu schwerfällig und langwierig. Er suche da nicht nach billigen Ausreden.
Es sei im Übrigen auch schon viel passiert. Die Wallonische Regionalregierung habe in den vergangenen zwölf Monaten knapp drei Milliarden Euro auf den Tisch gelegt. Dennoch fühlt es sich für viele der Betroffenen so an, als habe sich noch nichts getan, oder längst nicht genug. Das hat vielleicht auch mit dem schieren Ausmaß der Katastrophe zu tun. 209 der 262 wallonischen Gemeinden waren von dem Hochwasser betroffen. Nach Angaben von Elio Di Rupo wurden rund 100.000 Anträge auf Entschädigung gestellt.
Genau ein Jahr nach der Katastrophe wird aber erst noch einmal innegehalten. In vielen der betroffenen Ortschaften werden kleinere und größere Gedenkfeiern organisiert. Die zentrale Zeremonie findet im Lütticher Stadtteil Chênée statt. Ein symbolischer Ort, denn dort fließen Weser und Ourthe zusammen - die beiden Flüsse, an deren Ufern die Katastrophe vor einem Jahr ihren Lauf nahm.
Roger Pint