"Die Quadratur des Kreises" muss die Politik gerade hinbekommen - die Kaufkraft der Haushalte stärken und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen schützen. Weil das eine so verzwickte Gleichung ist, hat die Regierung beschlossen, sich von Fachleuten beraten zu lassen. Ein Expertengremium wurde damit beauftragt, Empfehlungen auszuarbeiten. Nationalbank-Chef Pierre Wunsch sitzt dieser Arbeitsgruppe vor.
Der Wirtschaftswissenschaftler Philippe Defeyt ist ebenfalls Mitglied dieses Expertengremiums. Im Vorfeld wollte er in der RTBF nicht die Empfehlungen vorwegnehmen. Wichtig sei aber, dass man verstehe, dass das, wovon wir hier reden, längst nicht von allen Menschen gleich empfunden wird.
Konkret: Es gibt in Belgien ganze 40 verschiedene Formeln, wie der Index letztlich in die Praxis umgesetzt wird. Die einen bekommen ihre Lohnerhöhung quasi postwendend, andere nur einmal im Jahr. Die Haushalte werden in der gelebten Realität nicht gleich gut geschützt. Wer zum Beispiel nur Anfang des Jahres eine Indexangleichung bekommt, der muss für den Rest des Jahres alle Preiserhöhungen ertragen und sich mühsam bis zum nächsten Stichtag hangeln.
Defeyt plädiert für eine Reform des Systems. Wobei das die Büchse der Pandora sein kann. Defeyt will als ehemaliger Ecolo-Co-Präsident die Indexierung naturgemäß stärken. Andere würden aber wohl eher die Gelegenheit beim Schopf packen, um das System einzustampfen.
Von den Sozialpartnern ist derweil kein Lösungsvorschlag zu erwarten. Der flämische Unternehmerverband Voka hat gerade wieder für einen Indexsprung plädiert - eine einmalige Aussetzung der Gehaltsanpassung. Im Gegenzug bekäme jeder Arbeitnehmer eine Prämie von 500 Euro. Die Gewerkschaften sprachen dennoch gleich von einer Kriegserklärung. Für den kommenden Montag haben die Arbeitnehmerverbände ohnehin schon zu einem großen Aktionstag aufgerufen. Im Mittelpunkt steht auch hier die Kaufkraft.
Für die Gewerkschaften ist der Index mehr denn je eine Heilige Kuh. Auch Premierminister Alexander De Croo hielt am Dienstag noch einmal ein Loblied auf diese belgische Eigenheit, die es ansonsten nur noch in Luxemburg und Malta gibt.
Und doch ließ De Croo auch durchblicken, dass die Wahrheit womöglich dennoch in der Mitte liegt. "Wir müssen hier ein Gleichgewicht bewahren. Wir dürfen die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen nicht zu sehr gefährden. Hier geht es nämlich um die Kaufkraft der kommenden Generationen", sagte der Premier.
Es ist ohnehin die Regierung, die am Ende auf der Grundlage der Empfehlungen der Experten eine politische Abwägung vornehmen muss. Wenn man weiß, wie heterogen die Vivaldi-Equipe ist, weiß man auch, dass diese Quadratur des Kreises diese Koalition vor eine Zerreißprobe stellen kann.
Staat und Unternehmen leiden mehr unter hohen Energiepreisen als Privathaushalte
Roger Pint