Eines scheint jedenfalls ziemlich sicher: Bei den belgischen Politikern – und das so ziemlich egal welcher Couleur – dürfte sich der französische Konzern auch mit diesem Brief keine neuen Freunde gemacht haben.
Nicht, dass er bei vielen angesichts der enormen Profite durch die Energiepreiskrise vorher sonderlich beliebt gewesen wäre. Aber wenn sogar die quasi personifizierte Atomlobby des Landes, der Vorsitzende der frankophonen Liberalen MR, Georges-Louis Bouchez, öffentlich im Radio über Engie herzieht, dann ist das doch schon bemerkenswert.
Wenn dann noch ausgerechnet die kommunistische PTB in der Fragestunde der Kammer Bouchez zitiert und ihm zustimmt, dann wird es fast schon surreal. Aber genau das ist heute passiert. Engie könne einem doch nicht glauben machen, dass es staatliche Hilfe von Belgien brauche, um die Laufzeit der Reaktoren zu verlängern, wenn es Strom für 35 Euro pro Megawattstunde produziere und dann für 200 Euro auf dem Markt verkaufe, so Thierry Warmoes von der PTB.
Und das war nur eine Momentaufnahme aus der Fragestunde. Während sonst vor allem die Regierung und ihre Minister ihr Fett wegbekommen, war es am Donnerstag eindeutig vor allem Engie, das die Prügel bezog - sowohl aus den Reihen der Opposition als auch der Mehrheit.
Was aber natürlich nicht bedeutet, dass nicht trotzdem jede Partei ihre Steckenpferde rausgeholt und auf dem jeweiligen politischen Lieblingsgegner rumgehackt hätte: die N-VA gegen die Grünen und die Open VLD, die Grünen gegen die N-VA, Les Engagés gegen die Regierung und die anderen Oppositionsparteien, die MR gegen die grüne Energieministerin, die PTB gegen den Kapitalismus und die Konzerne (und natürlich gegen die Regierung) und so weiter und so fort.
Das übliche Hauen und Stechen des politischen Donnerstagnachmittags. Aber bei all dem kristallisierte sich dennoch deutlich heraus, dass die meisten Parteien (außer seiner eigenen) von Premierminister Alexander De Croo das Gleiche wissen wollten: Wie steht es um die Verhandlungen mit Engie über die Verlängerung von Doel 4 und Tihange 3? Und was gedenkt er, mit dem Brief beziehungsweise seinem Inhalt anzufangen?
Aber wer De Croo zumindest in seiner Funktion als Premierminister kennt, der weiß, dass er sich so gut wie nie Aussagen über laufende Verhandlungen entlocken lässt. Dass er nicht vorhatte, von dieser Linie in dieser Angelegenheit abzuweichen, das hatte er bereits am Morgen deutlich gemacht, als er von den Medien um eine Reaktion auf den Brief von Engie gebeten worden war. Kein Kommentar zu den laufenden Verhandlungen zwischen Engie und der Föderalregierung, ließ er mitteilen.
Dass er vor den Kammerabgeordneten eine diesbezügliche Kehrtwende hinlegen würde, war also ziemlich unwahrscheinlich.
Und so kam es dann auch. Wobei er schon etwas gesprächiger war als "Kein Kommentar": Verhandlungen wie diese müssten mit klarem Kopf geführt werden, jeder einzelne müsse dabei seine Verantwortungen respektieren, auch die historischen.
Wenn man diese Verhandlungen ernsthaft führen wolle, dann müsse man sich in Zurückhaltung üben und in der dazu notwendigen Diskretion, erklärte der Premier. Das sei die Position, die seine Regierung einnehmen werde und das Mandat, das er und Energieministerin Tinne Van der Straeten erhalten hätten, sei sehr deutlich. Das Ziel sei, zu einer Einigung mit Engie zu kommen, unterstrich der Premierminister.
Allerdings habe die Regierung dabei nur eine einzige Priorität: Die Interessen Belgiens zu wahren, der Bürger Belgiens und aller, die in Belgien Elektrizität nutzten. Aber wenn man wolle, dass diese Verhandlungen zu einem guten Abschluss kämen, dann müssten sie am Tisch geführt werden und nicht in der Öffentlichkeit, so De Croo.
Der Premier verwies außerdem auch darauf, dass der Kammer beziehungsweise aktuell noch dem zuständigen Kammerausschuss ein Gesetzesentwurf vorliegt, der den Umgang mit den belgischen Nuklearabfällen regeln soll. Ein maßgeblicher Punkt darin ist neben den Lagerungsmodalitäten vor allem die Frage, wer dafür bezahlen soll.
Auch dieses Dossier solle doch bitte am Verhandlungstisch diskutiert werden, so der Appell des Premiers. Und alle Beteiligten sollten über sich hinauswachsen und sich ihrer auch historischen Verantwortung im Umgang mit einer derart wichtigen Materie bewusst werden.
Boris Schmidt