Das Importverbot für russisches Erdöl in die Europäische Union ist ein Kompromiss, um die Interessen aller Mitgliedsstaaten unter einen Hut zu bringen. Aus dem ursprünglichen Vorschlag eines generellen Embargos wurde ein teilweises, vor allem, um Ungarn zu überzeugen. Kurz zusammengefasst: Zunächst wird der Import russischen Öls auf dem Seeweg verboten, die Lieferung per Pipeline bekommt noch eine Gnadenfrist. Damit ist die Kuh zumindest prinzipiell schon mal vom Eis, auch wenn die exakten Details noch ausgearbeitet werden müssen. Vielen, gerade in den Ländern, die sich direkt von Russland bedroht fühlen, geht das natürlich nicht weit genug. Andere sehen es pragmatischer: besser so eine Einigung als gar keine.
Für Belgiens Premier Alexander De Croo ist es jedenfalls eine gute Vereinbarung, wie er in der VRT bestätigte. Gut, weil Europa damit seine Tatkraft zeige und dass es seine Einigkeit bewahren könne. Wieder und wieder bewiesen die 27 Mitgliedsstaaten, dass sie gemeinsam starke Entscheidungen fällen könnten. Das Öl-Embargo sei auch sehr weitreichend, selbst mit der Pipeline-Ausnahme, verteidigte De Croo den Beschluss. Die Blockade des Seewegs soll allein schon zwei Drittel des aus Russland in die EU eingeführten Öls betreffen. Außerdem hätten sich sowohl Deutschland als auch Polen glaubhaft verpflichtet, bis Ende des Jahres unabhängig zu werden von Öl aus russischen Pipelines. Das würde bedeuten, dass das Importverbot dann über 90 Prozent des russischen Öls betreffen würde.
Periode festgelegt so lange wie nötig
Die verbleibenden zehn Prozent entfallen auf Ungarn und dann noch die Nachbarländer Tschechien und die Slowakei. Keines der Länder hat Zugang zum Meer und damit zu einer Versorgung mit Öl per Schiff. Auch Infrastruktur für andere alternative Öl-Bezugswege fehlt - noch. Denn genau das soll dann der nächste Schritt sein, wie auch Premier De Croo betonte: Die Pipeline-Ausnahme soll nämlich nur vorübergehend gelten. Wobei "vorübergehend" nicht exakt definiert ist, wie er zugab. Die Übergangfrist werde so lang wie eben nötig sein, um die notwendigen Investitionen zum Bau neuer Infrastruktur zu tätigen. Die Europäische Kommission werde das auch sehr aufmerksam verfolgen.
Wichtig sei auch, dass die Bedenken insbesondere Belgiens und der Niederlande über eine mögliche Wettbewerbsverzerrung wirksam entkräftet worden seien. Es gebe klare Absprachen, dass die Ausnahmeregelungen für Ungarn, Tschechien und die Slowakei nie zu einem entsprechenden möglichen Missbrauch günstigeren russischen Öls führen dürften.
Die Belgier müssten sich im Übrigen auch keine Sorgen um eine mögliche Öl-Knappheit machen, versprach der Premier. Das Land habe nicht erst auf die Absegnung des Embargos gewartet, um sich nach anderen Bezugsquellen umzusehen.
Zumindest vorläufig ein Endpunkt
Für Belgien sei mit diesem sechsten Sanktionspaket gegen Russland wegen seines Angriffskriegs gegen die Ukraine dann aber auch zumindest vorläufig ein Endpunkt erreicht, erklärte De Croo weiter - vor allem was die Energiedomäne betreffe. Das bedeutet im Klartext: Mit Belgien wird es - zumindest bis auf Weiteres - kein Importverbot auch für russisches Gas geben. Die jetzigen Sanktionen träfen die Fähigkeit Russlands, Krieg zu führen, mitten ins Herz, versicherte De Croo. Denn schließlich verdiene das Land mit Ölexporten rund 30 Milliarden Euro pro Jahr - mit Gasexporten "nur" 20 Milliarden Euro, so seine Argumentation.
Jetzt müsse es darum gehen, die bestehenden Sanktionen um- und durchzusetzen und dafür zu sorgen, dass sie sich so stark wie möglich auf Russland auswirkten. Man müsse dafür sorgen, dass die belgische Mittelschicht nicht zu stark in Mitleidenschaft gezogen werde. Mit den jetzigen Sanktionen werde dafür gesorgt, dass sich die Strafmaßnahmen auf Russland und so wenig wie möglich auf Europa auswirkten. An dieser Linie müsse man festhalten. Das bedeute eben erst einmal die bestehenden Sanktionen auch praktisch umzusetzen - und nicht schon jetzt nach dem nächsten Sanktionspaket zu verlangen, so De Croo.
Boris Schmidt