Wenig überraschend sind die Arbeitgeberorganisationen nicht angetan von den Aktionen der gewerkschaftlichen Gemeinschaftsfront. Die Gewerkschaften hätten doch Scheuklappen auf, heißt es vom flämischen Arbeitgeberverband Voka. Die doch sehr schwammigen Begründungen der Aktionen vom 31. Mai müssten einen Mangel an echten Argumenten kaschieren, die Gewerkschaften verschlössen bewusst die Augen vor der prekären Situation im Rest der Welt. Während die Nachbarländer Belgiens sehr vorsichtig agierten angesichts des Ukraine-Krieges und seiner Folgen und sich in Lohnmäßigung übten, sorge hierzulande die automatische Indexanpassung der Löhne für ein immer größer werdendes Lohnhandicap gegenüber anderen Ländern. Das gehe auf Kosten der belgischen Wirtschaft und des Wohlstandes. Hier werde mit dem Feuer gespielt, die Rechnung werde später doppelt bezahlt werden müssen, so die altbekannte Attacke der Voka.
Unizo stößt in das gleiche Horn: Die Steigung der Reallöhne in Belgien in den nächsten zwei Jahren sei die höchste in ganz Europa, so hier die Reaktion. Trotzdem wollten die Gewerkschaften immer nur mehr und würden andauernd Streik- und Warnaktionen durchgeführt. Gegen allgemeine Missstände auf die Straße zu gehen, mache diese doch nur schlimmer und schade dem sozialen Dialog. Außerdem würden durch die Lahmlegung öffentlicher Verkehrsmittel und Schulschließungen auch die Betriebe und ihre Angestellten zu Opfern. Das sei nichts anderes als eine mutwillige Sabotage durch die Gewerkschaften, giftet Unizo.
Aufhorchen ließ derweil aber Föderalministerin Petra De Sutter. Die Groen-Vizepremierministerin ist auch zuständige Ministerin für Beamtenangelegenheiten und damit gerade am Dienstag auch eine der Hauptadressatinnen für die Forderungen der Streikenden. Der Öffentliche Dienst habe das Land am Laufen gehalten, sagte De Sutter in der VRT-Sendung "De Afspraak" beziehungsweise über den Kurznachrichtendienst Twitter. Durch die jahrelangen Einsparungen gingen mittlerweile aber verschiedene Dienste auf dem Zahnfleisch. Gleichzeitig verlange man auch immer mehr von ihnen. Deswegen sei sie absolut für mehr Investitionen bezüglich Mitteln und Personal für diese Dienste.
De Croo hat kaum Verständnis für Gewerkschaftsaktion
Aber auch der flämisch-liberale Chef der föderalen Regierungsequipe, Premier Alexander De Croo, hat sich öffentlich geäußert. Er habe doch wenig Verständnis für die Aktionen und Forderungen der Gewerkschaften, so De Croo am Dienstagmorgen bei Radio Eén. In Belgien werde die Kaufkraft doch durch die automatische Anpassung der Löhne an den Index kompensiert - so etwas sei die absolute Ausnahme in Europa. In Nachbarländern wie Deutschland, Frankreich und auch den Niederlanden müsse immer erst darüber verhandelt werden, wie die Inflation ausgeglichen werden solle. Hierzulande hingegen geschehe das automatisch. Gerade Beamte hätten auf diese Weise in Belgien bereits drei oder vier Mal eine Lohnerhöhung bekommen, um die Inflation auszugleichen.
Auch was die Höhe der Budgets und Mittel für den Öffentlichen Dienst und Staatsbetriebe wie die Bahn angehe, müsse sich Belgien absolut nicht schämen im Vergleich mit anderen Ländern, so De Croo. Die aktuelle Zeit sei schwierig für alle, jetzt gelte es zusammenzuhalten und die notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, appellierte der Premier weiter. Das sei nicht nur im Privatsektor so, sondern auch im Öffentlichen Dienst. Er verwies auch darauf, wie stark gerade während der Pandemie in den Öffentlichen Sektor investiert worden sei, um sicherzustellen, dass dieser seine Aufgaben angemessen erfüllen könne.
De Croo wies auch Vorwürfe der Gewerkschaften bezüglich eines Mangels an Respekt im sozialen Dialog zurück: Belgien habe einen guten sozialen Dialog. Aus all diesen Gründen denke er nicht, dass der Öffentliche Dienst in Belgien schlecht behandelt werde im Vergleich mit anderen Ländern oder auch mit dem Privatsektor, betonte der Premier.
Boris Schmidt