An Streitthemen innerhalb der Koalition mangelt es sicher nicht, an umgesetzten oder zumindest konkret beschlossenen großen Reformen hingegen schon. Das wissen alle, und besonders natürlich der Chef der Equipe, Premierminister Alexander De Croo.
Derweil tickt die Uhr unbarmherzig, die nächsten Wahlen rücken jeden Tag näher. Und damit eine drohende Abstrafung, wenn den Wählern bis dahin nicht eine zumindest halbwegs vorzeigbare Bilanz präsentiert werden kann. Gleichzeitig sind die einzelnen Mehrheitsparteien aber natürlich eifrig dabei, schon für den nächsten Urnengang ihr Profil zu schärfen und gegen Konkurrenten, auch aus der gleichen Regierung, zu punkten. Eine alles andere als glückliche Kombination.
Deswegen muss es auch erlaubt sein, zu fragen, ob "die sieben Baustellen", von denen Premier De Croo in seiner Note an das Kernkabinett spricht, nicht vielleicht doch so monumental sind, dass der Begriff "die sieben Weltwunder" angebracht wäre.
Sieben Baustellen
Denn an parteipolitischem Sprengstoff mangelt es dem Programm ganz sicher nicht, das mittlerweile oft als "das Große Sommerabkommen" bezeichnet wird: Kaufkraft und Wettbewerbsfähigkeit, entlastende Energiemaßregeln, eine Einigung mit Engie über die Verlängerung der Laufzeit der belgischen Atomkraftwerke, die Rentenreform, der Arbeitsdeal, die finanziellen und personellen Probleme bei Justiz und föderaler Gerichtspolizei – und natürlich das Budget für die Landesverteidigung.
Letzteres ist der aktuelle Zankapfel zwischen dem Premier einerseits und Groen-Ecolo andererseits. Denn Ende Juni wollte der Premier beim Nato-Gipfel in Madrid ja eigentlich verkünden, dass Belgien bis 2035 die Zwei-Prozent-Vorgabe der Nato erfüllen will, also zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung ausgeben will.
"Die Grünen haben bereits einer deutlichen Erhöhung der Militärausgaben zugestimmt", erinnerte Groen-Vizepremierministerin Petra De Sutter bei Radio Eén. "Wenn über die Sicherheit des Landes in zehn Jahren gesprochen wird, dann muss es für uns aber um mehr gehen als nur das Militär", betonte De Sutter.
Auch Energie sei beispielsweise eine Frage der nationalen Sicherheit. Und man dürfe auch nicht vergessen, welche Gefahr der Klimawandel darstelle. Man wisse etwa nicht, mit welchen und wie großen Katastrophen wie der Flut man in Zukunft rechnen müsse. Deswegen müsse bei Antworten auf die Herausforderungen des nächsten Jahrzehnts über mehr nachgedacht werden als nur die militärischen Ausgaben.
Kein "No-Go"-Thema
Die Diskussion darüber innerhalb der Regierung laufe, beispielsweise sei auch Montagabend im Kernkabinett darüber gesprochen worden, so De Sutter, die auch nicht von einem "No-Go"-Thema für die Grünen sprechen wollte. Sie denke auch, dass es bei der Frage vorangehe. Und bis Ende Juni habe man ja auch noch einen guten Monat Zeit.
Abgesehen davon gäbe es neben den Grünen auch noch andere kritische Parteien in der Regierungskoalition, die sagten, dass jeder Euro mehr für die Verteidigung woanders fehlen werde. Kaufkraft, Energiemaßnahmen, Arbeitsmarkt, die Stärkung der Wirtschaft – für all das brauche man Geld. Und all das seien auch dringendere Dossiers als Verteidigungsausgaben in zehn Jahren, so die Groen-Ministerin sinngemäß.
In mindestens einem Punkt ist sich De Sutter aber einig mit dem Premier: Die "sieben Baustellen" seien für die Vivaldi-Koalition auch eine Möglichkeit, um zu zeigen, dass sie wirklich in der Lage sei, große Reformen anzugehen. Das erwarteten die Bürger auch. Deswegen sei das "Große Sommerabkommen" nicht nur wichtig, sondern einfach nötig.
Es handele sich um eine enorm große Aufgabe, die man da für die nächsten Jahre habe, räumte die Ministerin ein. "Aber wenn das jemand schaffen kann, dann dieses föderale Regierungsteam", so die Überzeugung De Sutters.
Boris Schmidt