Crevits' bisheriges Ressort geht an einen Newcomer, nämlich den Limburger Jo Brouns. Die flämischen Christdemokraten hoffen, mit dieser Neubesetzung doch noch aus dem Umfragetief herauskommen zu können.
"Wenn man zum ersten Mal vor so vielen Kameras steht, dann ist das doch schon ein sehr überwältigendes Gefühl". Da ist einer doch sehr bewegt, weiß eigentlich gar nicht, wie ihm geschieht. Dieser jemand war von seinem Parteichef Joachim Coens zuvor als "frischer Newcomer" angekündigt worden. "Frisch", weil er gerade erst seit 2019 im flämischen Parlament sitzt. Jo Brouns, ein junger, talentierter Bürgermeister aus dem hohen Norden der Provinz Limburg. Der breiten Öffentlichkeit selbst in Flandern war der Name bislang nicht wirklich geläufig. Doch ist der 47-Jährige dafür kein unbeschriebenes Blatt: Seit 2013 ist er Bürgermeister der Gemeinde Kinrooi, im Nordosten der Provinz Limburg an der niederländischen Grenze.
Montagabend um 20:10 Uhr veränderte ein Anruf sein Leben. Am anderen Ende der Leitung war sein Parteichef Joachim Coens, der ihn fragte, ob er für ein Ministeramt zur Verfügung steht. "Naja, und ab diesem Moment wurde alles dann richtig spannend." Brouns war aber eigentlich erst das letzte Puzzlestück, das die Parteispitze aufs Spielbrett gelegt hat. Die wichtigste Frage sei erst mal gewesen, wer den zurückgetretenen Wouter Beke als Gesundheitsminister ersetzt, sagte Joachim Coens im VRT-Rundfunk.
Dieses Ressort sei für die Partei sehr wichtig. Und man wollte also eine möglichst fähige und erfahrene Persönlichkeit für diesen Posten. Tagelang hat man die Vizeministerpräsidentin Hilde Crevits bearbeitet, damit die ihre bisherigen Zuständigkeiten abgibt und das Amt der Gesundheitsministerin übernimmt. "Wir wollten unsere stärkste Spielerin für den Job", sagt Coens. Und als sie einwilligte, war das erste Puzzlestück gelegt.
"Deswegen bringen wir jetzt eigentlich zwei neue Minister ins Spiel", sagt Coens. Denn es ist so: Hilde Crevits war bislang zuständig insbesondere für Wirtschaft, Beschäftigung und Landwirtschaft. Sie wird jetzt also die neue Gesundheitsministerin. Und ihre Zuständigkeiten übernimmt eben der besagte Newcomer Jo Brouns.
Hilde Crevits selbst machte keinen Hehl daraus, dass sie anfänglich nicht wirklich begeistert war von einem solchen Szenario. "Wissen Sie: Es ist nicht meine Art, während einer Legislaturperiode das Ressort zu wechseln", sagte Crevits in der VRT. "Aber: Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Entscheidungen". Und sie wisse, dass viele jetzt auf sie zählten.
"Außergewöhnliche Zeiten" - damit meint Hilde Crevits wohl den aktuellen Zustand ihrer Partei. Die CD&V ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die früher allmächtigen Christdemokraten sind laut jüngsten Umfragen auf unter neun Prozent abgesackt: Die einst größte flämische Partei ist jetzt die kleinste. Crevits weiß also nur zu gut, dass sich die Partei keine personellen Fehlbesetzungen leisten kann. Deswegen übernimmt sie jetzt also das wichtige Gesundheitsressort, an dem ihr glückloser Vorgänger Wouter Beke doch kläglich gescheitert ist.
Doch bekommt der unerfahrene Jo Brouns mit den Bereichen Wirtschaft, Beschäftigung und Landwirtschaft nun auch keine kleinen Zuständigkeiten. Entsprechend stolz und dankbar ist er auch, dass ihm seine Partei ein solches Vertrauen schenkt. Wobei: Böse Zungen würden sagen, dass mindestens ebenso wichtig wie seine Fähigkeiten die Tatsache war, dass er aus der Provinz Limburg kommt. Nach dem Abgang des Limburgers Wouter Beke brauchte die Partei nämlich ein neues Zugpferd in der Provinz. Er sei sich dessen bewusst, dass das mitgespielt hat. Und er wisse, dass er erst noch beweisen müsse, dass er dieses Vertrauen verdient.
Und auch er weiß, was für seine Partei auf dem Spiel steht. "Die erste Halbzeit war für uns nicht gut", sagt Brouns. "Wir haben einige Gegentore kassiert, vielleicht auch den einen oder anderen unbegründeten Elfer. Aber jetzt kommt der zweite Durchgang. Und jetzt werden wir knallhart kämpfen bis zum Schlusspfiff, also bis zu den Wahlen 2024."
Roger Pint