Es ist schlicht und ergreifend zum Haareraufen, wenn man sieht, wie sich die Preise für alle möglichen Produkte zurzeit entwickeln. Die Situation sei sehr schwierig, räumte der föderale PS-Staatssekretär für Wirtschaftsbelebung und Strategische Investitionen, Thomas Dermine, in der VRT-Sendung "Terzake" ein. So eine hohe Inflation wie im Moment habe man seit 30 oder 40 Jahren nicht mehr gehabt.
Dennoch versuchte der PS-Politiker, Ruhe auszustrahlen. Die Föderalregierung habe bereits Maßnahmen ergriffen, um die Menschen finanziell zu entlasten - zum Beispiel durch die Senkung der Mehrwertsteuer auf Strom und die Energieschecks. Aber nicht nur das: Für erwerbstätige Menschen gebe es in Belgien ein einzigartiges System, erinnerte er. Eines der besten Systeme der Welt, wenn es darum gehe, die Kaufkraft der Menschen zu schützen: die automatische Indexierung der Löhne.
Was der PS-Politiker Dermine - und sicher nicht nur er - als großen Vorteil sieht, sehen andere aber nicht ganz so rosig und unkritisch. Für viele Unternehmer bedeutet die automatische Indexierung vor allem weiter steigende Kosten - und damit einen ihrer Meinung nach beträchtlichen Wettbewerbsnachteil im Vergleich zu etwa Firmen in den Nachbarländern Belgiens.
Einfrieren der automatischen Indexierung
Deswegen fordern sie, gerade auch angesichts der aktuellen Inflation und Preissteigerungen und der damit zusammenhängenden tatsächlichen beziehungsweise potenziellen Lohnindexierungen, immer lauter einen sogenannten Indexsprung - also ein Einfrieren der automatischen Indexierung. In der Praxis würde in so einem Fall eine Indexierung, also eine Steigung der Löhne um zwei Prozent, "übersprungen".
Solange die Sozialisten mit in der Regierung säßen, werde es keinen Indexsprung geben, erteilte der Staatssekretär solchen Forderungen aber eine kategorische und deutliche Absage. So einen Indexsprung habe es zuletzt unter der Regierung Michel gegeben und dafür bezahle man noch heute, so Dermine.
Abschaffung oder Überarbeitung des Lohnnormgesetzes
Die Gewerkschaften ihrerseits lehnen nicht nur einen Indexsprung vehement ab, sondern wollen, dass die Löhne stärker steigen als aktuell gesetzlich vorgesehen - Stichwort "Lohnnormgesetz von 1996". Dieses unter der Regierung Michel angepasste Gesetz soll dafür sorgen, dass die Lohnentwicklung in Belgien vergleichbar bleibt mit der in den Nachbarländern, damit es nicht zu größeren Wettbewerbsnachteilen kommt. In der Praxis bedeutet das aber, dass - jenseits der automatischen Indexierung - kaum Spielraum für höhere Löhne besteht. Deswegen fordern die Arbeitnehmervertreter auch schon lange eine Abschaffung oder Überarbeitung des Lohnnormgesetzes.
Damit beißen sie freilich bei der Wirtschaft auf Granit. Zumindest bisher scheint auch die Regierung wenig geneigt, am Lohnnormgesetz zu rütteln. Wenn es aber nach Staatssekretär Dermine geht, dann könnte sich das vielleicht ändern. Er denke, dass höhere Löhne zumindest für bestimmte Sektoren wichtig seien. Das sehe man zum Beispiel im Bausektor. In Belgien würden Milliarden in neue Projekte investiert, auch wegen des Wiederbelebungsplans. Eine der größten Herausforderungen sei aber, überhaupt Arbeiter für all die Baustellen zu finden.
Selbst die Firmen des Bausektors hätten ihm gesagt, dass den Menschen mehr bezahlt werden müsse, um die Arbeit dort attraktiver zu machen. In bestimmten Bereichen herrschten sehr spezifische Bedingungen, also ein Mangel an Arbeitskräften. Da müsse man lohntechnisch reagieren können, forderte Dermine. Dafür bräuchte es aber - auch wenn der Staatssekretär das nicht explizit aussprach - zumindest für manche Sektoren eben eine Reform des Lohnnormgesetzes.
Boris Schmidt