Eigentlich wollten verschiedene Abgeordnete am Donnerstag auch Premierminister Alexander De Croo Fragen stellen. Der war aber nicht anwesend in der Kammer. Denn mittags vertrat er Belgien bei einem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs zu den Spannungen mit Russland. Danach stand der EU-Afrika-Gipfel auf der Agenda.
Mit diesen Erklärungen wollte sich der N-VA-Fraktionsführer Peter De Roover aber nicht zufriedengeben. Er meinte, dass der offizielle Zeitplan De Croo durchaus Spielraum gelassen hätte. Er stelle mit viel Betrüben fest, dass auf der Prioritätenliste des Premiers eine Eröffnungszeremonie des EU-Afrika-Gipfels einen höheren Stellenwert einnehme als die Kontrollfunktion des Parlaments.
De Roover mutmaßte auch demonstrativ, dass sich De Croo vielleicht auch aufgrund der Spannungen innerhalb der Vivaldi-Koalition rund um Arbeitsmarktreform und Atomausstieg nicht habe blicken lassen wollen.
Aufgabe der Opposition
Was die eigentliche Debatte über die Reformen des Arbeitsmarktes anging, so waren die Rollen wie üblich verteilt. Oder, um es mit den Worten des OpenVLD-Vorsitzenden Egbert Lachaert zu sagen: Die Aufgabe der Opposition sei immer, gegen die Politik der Regierung zu sein.
Während die Abgeordneten der Mehrheit also die Vorzüge der Arbeitsmarktreform nach Kräften lobten, ließen die linksextreme PTB-PVDA, der rechtsextreme Vlaams Belang und die flämischen Nationalisten N-VA kein gutes Haar daran.
"Mehr Burn-outs"
Wie zu erwarten, schoss sich die PTB auf ihren politischen Hauptkonkurrenten ein, die frankophonen Sozialisten PS. Durch die Abwesenheit des Premiers musste sich ja der PS-Vizepremier und Arbeitsminister Pierre-Yves Dermagne alleine den Fragen dieses Themenkomplexes stellen.
Sophie Merckx von der PTB warf der Regierung und insbesondere der PS vor, durch die flexibleren Arbeitszeiten und die Lockerungen bei der Nachtarbeit für mehr Langzeitkranke und Burn-outs zu sorgen. Die Arbeiterbewegung habe vor hundert Jahren für den Achtstundentag gekämpft, hielt Merckx Dermagne vor. Und heute führe der sozialistische Minister den Zehnstundentag wieder ein. Wie könne er das wagen?
"Hängemattenkultur"
Der Vlaams Belang in Form von Hans Verreyt wiederum geißelte das Reformpaket als misslungen und Mogelpackung, eine Bestätigung der "Hängemattenkultur".
Die Haltung der PS sei noch immer die gleiche: Wenn die Reform so umgesetzt werde, dann werde Wallonien weiter bestimmen und Flandern weiter bezahlen, so eine Tirade des Abgeordneten, der eine weitere Regionalisierung der Zuständigkeiten forderte.
In die gleiche Kerbe schlugen auch Peter De Roover und Björn Anseeuw von der N-VA: Die Teilstaaten bräuchten mehr Befugnisse, um ungenutztes Arbeitskräftepotenzial zu aktivieren, so ihr Tenor.
Ob denn hiernach noch eine echte Reform des Arbeitsmarktes komme, stichelte Anseeuw. Eine Reform mit echten Maßnahmen, die es Menschen tatsächlich erlaube, ein gutes Einkommen zu erzielen, und Betrieben, mehr Wohlstand zu generieren.
Beschäftigungsgrad erhöhen
Für die einen habe die Regierung mit ihrer Reform zu wenig getan, resümierte Egbert Lachaert die Debatte, für die anderen hingegen schon zu viel. Auf die Attacken der letzteren, also der PTB-PVDA, ging Arbeitsminister Dermagne selbst in seiner Antwort im Übrigen nicht ein. Er konzentrierte sich vollständig auf die Angriffe von Flämisch-Rechts.
Die Arbeitsmarktreform werde zu einer weiteren Erhöhung des Beschäftigungsgrades beitragen, bekräftigte Dermagne. Im Gegensatz zu N-VA und Co. wolle er keine Niedriglohnjobs, einfach nur Jobs um jeden Preis.
Nicht mit härterem Vorgehen gegen Arbeitslose und andere, nicht mit einer hemmungslosen Deregulierung des Arbeitsmarktes, kurzgesagt, nicht mit einer Rückkehr ins 19. Jahrhundert werde man das Beschäftigungsziel von 80 Prozent erreichen, verteidigte der Arbeitsminister die geplante Reform.
Boris Schmidt