Die Wurzel allen Antwerpener PFOS-Übels ist älter als die Oosterweel-Baustelle: Es handelt sich um die Fabrik des amerikanischen Chemieunternehmens 3M in Zwijndrecht bei Antwerpen. Von den 1970er- bis in die frühen 2000er-Jahre wurde hier bei der Produktion der synthetische Stoffs PFOS (Perfluoroctansulfonsäure) verwendet.
Während dieser Zeit ist dadurch nachgewiesenermaßen im weiteren Umkreis Luft, Wasser und Boden verseucht worden. Das kaum abbaubare PFOS wird, zumindest in hohen Konzentrationen und bei längerem Kontakt für eine ganze Reihe von Gesundheitsbeschwerden verantwortlich gemacht, unter anderem soll es krebserregend sein.
Als Oosterweel-Bauherr Lantis in der Umgebung der 3M-Fabrik mit den Erdarbeiten begann beziehungsweise schon bei Vorabmessungen 2017, wurde eine hohe PFOS-Verunreinigung festgestellt. Das wurde von Lantis damals auch an die politisch Verantwortlichen gemeldet.
Keine Kommunikation
Allerdings dauerte es bis zum Sommer 2021, bis die flämische Regierung Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergriff. Und bis dahin kommunizierten weder die flämische Politik noch die zuständigen Behörden über die PFOS-Verunreinigung.
Diese Vorgänge und der Wirbel, den sie verursachten, führten letztlich zur Einrichtung des ersten Untersuchungsausschusses des flämischen Parlaments in 20 Jahren. Der soll unter anderem klären, wer wann was gewusst hat und ob Fehler gemacht worden sind.
Am Montag hat der Ausschuss zwei der Hauptfiguren befragt: die damalige flämische CD&V-Umweltministerin Joke Schauvliege und den damaligen N-VA-Mobilitätsminister Ben Weyts, zuständig auch für öffentliche Bauvorhaben in Flandern.
Dass sie über die PFOS-Belastung immer auf dem Laufenden war, das stritt Schauvliege am Montag auch nicht ab. Entscheidend ist in diesem Kontext aber inzwischen auch eher die Frage, ob sie Bescheid wusste über die möglichen Gesundheitsrisiken von PFOS.
Gefährdung von Menschen
Es habe 2017 von Behörden und Experten keine Hinweise auf ein humantoxikologisches Risiko in der Umgebung der 3M-Fabrik gegeben, betonte Schauvliege. Auf der Basis dieser Informationen habe sie agiert: Ohne eine Gefährdung von Menschen sei es also auch nicht notwendig gewesen zu kommunizieren.
Auf diese Position hatte sich in der vergangenen Woche auch schon der Antwerpener Bürgermeister und N-VA-Chef Bart De Wever zurückgezogen. Man habe lediglich gewusst, dass es eine Umweltverschmutzung mit dem Stoff gab, so Schauvliege.
Schauvliege habe erst Ende 2018 mehr über die Gefahren erfahren und sei dann auch umgehend aktiv geworden. Und zwar Schritt haltend mit dem zunehmenden Wissen über die Gefahren von PFOS und den immer strenger werdenden europäischen Grenzwerten und Normen.
Natürlich würde Schauvliege mit dem Kenntnisstand von heute nicht wieder so handeln, beteuerte sie. Aber auf Basis dessen, was sie damals gewusst habe, habe sie keine Fehler gemacht.
Man habe nach bestem Wissen gehandelt
Ben Weyts übernahm, wie auch Schauvliege, die politische Verantwortung für das Handeln der ihnen unterstellten Dienste. Ihre jeweiligen Untergebenen hätten bei einem Treffen am 12. Oktober 2017 gemeinsam entschieden, nicht über die PFOS-Belastung zu kommunizieren.
Der Beschluss sei allein auf Grundlage des damaligen wissenschaftlichen Kenntnisstands und der Informationen der Spezialisten erfolgt. Alle Dienste und Behörden, für die er damals die politische Verantwortung getragen habe, hätten immer, nach bestem Wissen und Gewissen, korrekt gehandelt.
Selbstverständlich habe es keine ministerielle Anweisung gegeben, nicht zu kommunizieren. Von einer Vertuschung könne keine Rede sein, unterstrichen sowohl Weyts als auch Schauvliege.
Vollständig zufrieden zeigten sich die Mitglieder des parlamentarischen Untersuchungsausschusses aber trotz dieser Versicherungen nicht. In den Zwijndrechter Wohngebieten in der Nähe der 3M-Fabrik etwa seien auch später keine PFOS-Messungen durchgeführt worden, bemängelten sie unter anderem.
Es habe auch bereits 2009, also lange vor Baubeginn, eine Studie der Universität Antwerpen über mögliche gesundheitliche Risiken bei Arbeitern gegeben, die PFOS stark ausgesetzt gewesen seien. Der abschließende Bericht des Untersuchungsausschusses wird in den kommenden Wochen erwartet.
Boris Schmidt