Als Pressetermin anlässlich des Jahresbeginns war die Veranstaltung angekündigt. Ein nicht weiter außergewöhnlich scheinender Termin mit dem wallonischen Haushaltsminister Jean-Luc Crucke, um "auf den aktuellen Stand seiner Arbeit der vergangenen Wochen" gebracht zu werden. Statt einer Bestandsaufnahme bekam die Presse aber etwas ganz anderes.
Am 3. Januar habe er bei seinem Parteipräsidenten seinen Rücktritt eingereicht, verkündete Crucke. Der habe ihn nicht um seinen Rücktritt gebeten. Er habe seine Entscheidung allein und ohne Druck von außen gefällt, unterstrich der MR-Politiker.
Besagter Parteipräsident, bei dem Crucke also nach fünf Jahren in der wallonischen Regierung schon vor einer Woche seinen Rücktritt eingereicht hat, ist natürlich niemand anderes als der oft kontroverse MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez.
Der saß während dieser Worte übrigens neben Crucke. Demonstrativ zur Schau gestellte Einigkeit könnte man das vielleicht nennen. Wobei die lange Vorgeschichte der beiden liberalen frankophonen Politiker wohl zumindest daran zweifeln lassen kann, wie herzlich und einmütig es hinter den Kulissen wirklich zuging.
Der letzte große Schlagabtausch zwischen Bouchez und Crucke – von denen es doch einige gab – liegt nämlich gar nicht mal so lange zurück: Anfang Dezember letzten Jahres sollte ein Dekretentwurf für eine Steuerreform des Haushaltsministers im zuständigen Ausschuss des wallonischen Parlaments behandelt werden.
Torpediert wurde das aber ausgerechnet von Cruckes eigener Partei, der MR. Die ließ den Entwurf, mit dem Crucke gegen Steuerflucht und Steuervermeidung vorgehen wollte, nämlich von der Tagesordnung nehmen. Diverse Parteimitglieder waren der Meinung, dass solch ein Vorhaben der Mittelklasse schaden werde, also der MR-Kernwählerschaft.
Treibende Kraft soll aber Bouchez gewesen sein, der das Projekt Cruckes "zu links" fand. Die Auseinandersetzung über das Dekret drohte am Ende sogar einen Moment lang, die wallonische Regierung stürzen zu lassen. Aufgrund der parteiinternen Querelen rechneten viele zu diesem Zeitpunkt damit, dass Crucke das Handtuch werfen würde. Was letztlich aber bekanntermaßen nicht geschah, die Mehrheit im Regionalparlament verabschiedete den Gesetzentwurf schließlich.
Aber trotz des scheinbaren Siegs ist der Haushaltsminister aus dieser Affäre offenbar doch wesentlich angeschlagener hervorgegangen als zunächst vielleicht gedacht. Aufgrund dieser Spannungen sei er zu einem sehr einfachen Schluss gekommen, erklärte Crucke am Montag.
Seine liberalen Überzeugungen stimmten nicht mehr überein mit der Linie seiner Partei. Das sei eine Realität, kein Bedauern. Er habe schon immer Meinungen gehabt, die als grenzwertig für seine politische Familie gegolten hätten, so Crucke weiter, insbesondere, was Migration, Klima, Energie und eben vor allem Besteuerung betreffe.
Das sei bislang eine Stärke gewesen, drohe aber mittlerweile, seine Partei und damit die Regierungsmehrheit bisweilen in Schwierigkeiten zu bringen. Das habe unter anderem dazu geführt, dass wegen der Debatte um sein Dekret andere wichtige Punkte des Haushalts in den Hintergrund gedrängt worden seien. Das sei nicht normal und bedauerlich.
In den endgültigen Ruhestand verabschieden wird sich Jean-Luc Crucke aber nicht: Der studierte Jurist und Anwalt wird Kandidat der MR für einen Richterposten am Verfassungsgerichtshof, wie Bouchez bestätigte.
Er sei sicher, dass er dort eine Rolle ausüben könne, die ihm zusage, so Crucke, immer im Dienste der Demokratie. Bis zu einer entsprechenden Ernennung und nach der Übergabe des Ministeramtes an seinen noch zu benennenden Nachfolger beziehungsweise Nachfolgerin wird Crucke derweil einfacher Abgeordneter bleiben.
Die Entscheidung über seine Nachfolge als Minister soll laut Bouchez am Dienstag verkündet werden. Erst wenn diese Personalie bekannt ist, wird sich auch klarer abzeichnen ob und welche Folgen sich aus dem Rückzug Cruckes für die wallonische Regierung und möglicherweise darüber hinaus ergeben könnten.
Ministerpräsident Elio Di Rupo von der PS und die anderen Mitglieder der Regierung waren jedenfalls wohl nicht im Voraus über den Schritt in Kenntnis gesetzt worden. Der Abgang des von vielen geschätzten Haushaltsministers Crucke kommt auch zu einer Zeit, in der die Region vor großen finanziellen Herausforderungen steht, namentlich durch den Wiederaufbau nach der Hochwasserkatastrophe und die Corona-Pandemie.
Boris Schmidt