Die Brüsseler Kundgebung mit ihren brennenden Barrikaden und ihren Gewaltexzessen sorgt für spürbare Besorgnis. Auch Premierminister Alexander De Croo stand offensichtlich noch unter dem Eindruck der Bilder von Sonntag. Eigentlich wollte er sich am Montag mit seinem französischen Amtskollegen Jean Castex über Sicherheitsfragen austauschen. Am Rande der Pressekonferenz nahm De Croo aber auch Stellung zu den Ereignissen von Sonntag.
Zunächst bedankte er sich bei der Polizei und sprach den sechs Beamten, die verletzt wurden, seine Unterstützung aus. "Natürlich leben wir in einem freien Land, in dem die Gedanken frei sind und in dem man auch das Recht hat, zu demonstrieren", sagte De Croo. Das dürfe aber nicht in Gewalt ausarten; erst recht nicht, wenn sie sich gegen Polizisten richte. Das sei inakzeptabel. Und das erst recht in Zeiten wie diesen.
"Kriminelles Verhalten"
Im Gesundheitswesen heißt es im Moment: "Alle Mann an Deck". "Und genau vor diesem Hintergrund hat das, was wir am Sonntag gesehen haben, nichts mehr mit Freiheit zu tun. Hier geht es nicht mehr um die Frage, ob die Impfung nun gut oder schlecht ist. Das ist nur noch ein kriminelles Verhalten." Und die Polizeidienste würden alles tun, um die Krawallmacher zu identifizieren und zur Verantwortung zu ziehen.
Er sei sich natürlich darüber im Klaren, dass die letzten zwei Jahre nicht einfach waren. Und, ja, auch er sei enttäuscht darüber, dass wir uns in diesem Herbst wieder in einer solchen Situation wiederfinden. Aber, in einem solch schwierigen Moment müssten wir zusammenstehen, uns gegenseitig unterstützen.
Natürlich verstehe er auch, dass Menschen zweifeln. "Aber, lasst uns diskutieren, und zwar auf der Grundlage von korrekten Informationen, nicht auf Basis von Desinformation. Und das Ganze bitte auf nüchterne Art und Weise! Wir dürfen uns jetzt nicht spalten lassen durch eine sehr kleine Minderheit von Leuten, die eben versuchen, diese Zweifel zu missbrauchen, um die Menschen gegeneinander aufzuhetzen."
Politologe warnt: Bewegung nicht verkennen
"Kleine Minderheit", das hängt davon ab, wen De Croo vor Augen hat. Wenn er die Demo an sich meint: Man sollte die Zahl der Corona- bzw. Impf-Skeptiker nicht unterschätzen, warnte in der VRT der Politologe Stefaan Walgrave. Nicht vergessen, sagte Walgrave: Die 35.000 Kundgebungsteilnehmer wurden nicht mobilisiert durch eine der großen Organisationen. Nein, das Ganze kam nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda in Sozialen Netzwerken zustande. Vor diesem Hintergrund sind 35.000 Demonstranten verdammt viele. Man sollte denn auch diese Bewegung, diesen Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen, diese Unterströmung nicht verkennen, mahnt der Politologe.
Davon abgesehen klingt auch der Appell zur Einigkeit aus dem Mund des Premierministers ein wenig hohl. Denn seine Regierung glänzt im Moment auch nicht wirklich durch Geschlossenheit. Am vergangenen Freitag gab es noch eine Mini-Krise um die Impfpflicht für medizinisches Personal, die erst nach einem 13-stündigen Therapiegespräch beigelegt werden konnte. Und auch im Zusammenhang mit der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ist die Regierung tief gespalten. Vor allem die Sozialisten sind dafür, die Liberalen und auch Alexander De Croo selbst sind dagegen.
Sein Appell mag sich denn auch ein wenig an die eigene Equipe richten. "Wir haben in diesen Tagen nur einen Gegner", sagte De Croo. "Und das ist das Virus. Das sollten wir bekämpfen und uns nicht dazu anstacheln lassen, uns gegenseitig bekriegen. Das ist das letzte, was wir jetzt brauchen."
Zustimmung bekam De Croo übrigens gleich von seinem Gast aus Paris. "Wenn man diese Frage dem französischen Premier gestellt hätte, dann wäre die Antwort wohl ähnlich ausgefallen, sagte Jean Castex.
Roger Pint