Die Lage verbessert sich nicht. Im Gegenteil. "Wir hatten eigentlich gehofft, dass die Schulferien die vierte Welle ein wenig bremsen würden. Das ist nicht passiert", sagte Sciensano-Sprecher Yves Van Laethem bei einer Online-Pressekonferenz am Freitagvormittag.
Die Daten würden zwar etwas verzerrt wegen der Feiertage. Aber insgesamt könne man bei den Neuinfektionen ausgehen von einer Steigerungsrate von rund 20 Prozent. Es gab sogar Tage mit 15.000 Neuansteckungen, zum Beispiel am vergangenen Montag. Damit erreichen wir Höchststände, nur während der zweiten Welle vor einem Jahr gab es mehr Neuinfektionen pro Tag.
Zwölf Prozent der Tests positiv
Das Virus zirkuliert also, und zwar ziemlich intensiv. Ein weiteres Indiz dafür, das ist die Positivitätsrate: Zwölf Prozent der durchgeführten Tests waren positiv, das ist der höchste Wert in diesem Jahr. Besonders ausgeprägt ist das Infektionsgeschehen im Augenblick in Flandern.
Das Ganze hat natürlich auch Auswirkungen auf die Situation in den Krankenhäusern. Im Moment müssen pro Tag im Durchschnitt rund 200 Patienten zur stationären Behandlung in eine Klinik aufgenommen werden. Allein Mittwoch waren es 284.
Auf den Intensivstationen liegen im Moment 472 Patienten. Das entspricht einem Zuwachs von 30 Prozent auf Wochenbasis. "Und wenn wir uns die Entwicklung bei den Neuinfektionen anschauen, dann kann man davon ausgehen, dass in den nächsten Wochen der Druck auf die Krankenhäuser noch zunehmen wird", sagte Yves Van Laethem.
Vierte Welle heftiger als erwartet
Ja, er sei durchaus besorgt, sagte am Abend auch der föderale Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke in der RTBF. Man habe zwar eine vierte Welle erwartet, man habe aber nicht damit gerechnet, dass sie so heftig würde.
Und man müsse ehrlich sein, sagt Vandenbroucke: "Wir sind im Begriff, die Kontrolle zu verlieren. Das Tracing ist überfordert, die Hausärzte sind überlastet, das Krankenhauspersonal geht auf dem Zahnfleisch. Die Lage ist im Moment extrem schwierig."
Und, nein, all das mache die Impfungen nicht plötzlich nutzlos, sagt der Gesundheitsminister. Nur zwei Zahlen: Die Wahrscheinlichkeit, dass man stationär behandelt werden muss, die ist bei Ungeimpften achtmal höher. Das Risiko, dass Ungeimpfte auf der Intensivstation landen, die liegt elf Mal höher.
Das bestätigen im Übrigen auch die neuesten Daten von Sciensano: Die Kurven in Sachen Krankenhausbelegungen liegen sichtbar unter denen bei den vergangenen Krankheitswellen. Dennoch: Angesichts der aktuellen Zahlen könne man nicht mehr länger untätig bleiben, betont Frank Vandenbroucke. Auf die Gefahr hin, dass wir ansonsten völlig die Kontrolle verlieren.
Verstärkt auf Masken setzen
Man muss also handeln. "Und dafür müssen wir das Rad nicht neu erfinden, also etwa neue Maßnahmen erlassen. Es reicht schon, wieder verstärkt auf Masken zu setzen." Er hoffe im Übrigen, dass man im Januar mit der Impfung der Fünf- bis Elf-Jährigen beginnen könne. Man warte noch auf das Grüne Licht der EU.
Eine allgemeine Impfpflicht ziehe er derzeit nicht in Erwägung, insbesondere, weil das schwer umzusetzen sei. Wohl aber sei es sein erklärtes Ziel, dass im Gesundheitsbereich ab dem 1. April niemand mehr mit Patienten in Kontakt komme, der nicht geimpft ist. Ein entsprechender Entwurf liegt ja auf dem Tisch der Regierung.
Doch wird man letztlich nicht doch die Schrauben wieder etwas anziehen müssen? Über mögliche neue Einschränkungen wolle er sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht aussprechen, sagte Vandenbroucke. Es reiche wohl schon, die geltenden Regeln bzw. Empfehlungen rigoros zu beherzigen.
Roger Pint