Drogenkriminalität und kein Ende. Was sich gerade in Belgien abspielt, was die Ermittler zum Teil zu sehen bekommen, das spottet jeder Beschreibung. Hier wurde die Welt der Krimiserien längst von der Wirklichkeit eingeholt. "Und das macht uns Sorgen", sagte Föderalprokurator Frédéric Van Leeuw in der RTBF.
"Es mag so aussehen, als hätten die südamerikanischen Narco-Kartelle ihre brutalen Methoden nach Belgien importiert. Wir versuchen das zwar zu verhindern, wir sehen aber zum Teil brutalste Morde, selbst zerstückelte Leichen, schreckliche Gewalttaten."
Was der Föderalprokurator da schildert, das haben er und seine Ermittler in den meisten Fällen nur gelesen oder gehört. Die Rede ist wieder von der "Operation Sky". Das war fast schon die Stunde Null im Kampf gegen die in Belgien operierende Drogenmafia. Den belgischen Ermittlern war es gelungen, das Krypto-Netzwerk Sky ECC zu knacken, ein Kommunikationssystem, das als abhörsicher und nicht zu entschlüsseln galt. Monatelang hat man mitgehört und mitgelesen, konnte sich so ein Bild machen von der Organisationsstruktur krimineller Drogenschmuggler-Banden.
Am 9. März gingen die belgischen Behörden damit an die Öffentlichkeit, weil es nicht mehr anders ging. Und seither wurden 30 Razzien im Drogenmilieu durchgeführt. Insgesamt wurden dabei 455 Verdächtige festgenommen. Das alles war nur möglich dank der Informationen, die man nach dem Hack von Sky ECC sammeln konnte. Das gilt auch für die Polizeiaktion am Dienstag im Großraum Brüssel. 114 Hausdurchsuchungen, 64 Festnahmen: Hier wurde offensichtlich ein Logistiknetzwerk ausgehoben.
Die Drogen kamen wohl über den Antwerpener Hafen ins Land und wurden dann von der Organisation weiterverarbeitet und in ganz Europa verteilt. "Da sind uns dicke Fische ins Netz gegangen", sagte in der RTBF Eric Snoeck, der Generaldirektor der Föderalen Kriminalpolizei. Hier haben offensichtlich zwei Clans eng zusammengearbeitet: die albanische Mafia und die kalabrische Ndrangheta. Und beide sind dafür bekannt, dass sie ihre Probleme auf äußerst direkte und brutale Art und Weise lösen.
Was wohl auch der Grund dafür sei, dass sich bislang noch kein Kronzeuge manifestiert hat, glaubt Föderalprokurator Frédéric Van Leeuw. Die Ereignisse in den Niederlanden haben offensichtlich ihre Wirkung nicht verfehlt. Da waren erst der Bruder und dann der Anwalt eines Kronzeugen erschossen worden, und am Ende auch noch der Journalist Peter R. de Vries. Wohl auch deswegen wage es niemand mehr, gegen die Mafia auszusagen, so Van Leeuw.
Ein Problem sei auch, dass die belgische Polizei hier deutlich an ihre Grenzen stoße. Kronzeugen müssen geschützt werden. In Belgien gebe es da nicht annähernd die Mittel, die den niederländischen Kollegen zur Verfügung stehen. Mehr noch: Die Operation Sky ECC hat dermaßen viel Material ans Licht gebracht, dass man das gar nicht richtig aufarbeiten könne. "Was schade ist, denn eine solche Gelegenheit bekommen wir nie wieder", sagt Van Leeuw.
"Wir kennen die gesamte Struktur der Netzwerke. Und das stellt die belgischen Behörden vor eine beispiellose Herausforderung." Alle arbeiten an dieser Akte: Die 14 Prokuratoren des Königs, die fünf Generalprokuratoren und der Föderalprokurator. Unterstützt werden sie von mehr als 500 Beamten der Föderalen Kriminalpolizei. Das ist ein Fünftel des Personals. "Und das bereitet uns große Sorgen", sagt Generaldirektor Eric Snoeck. "Denn wir laufen Gefahr, dass wir in anderen Bereichen Abstriche machen müssen."
Zustimmung von Föderalprokurator Van Leeuw: Da blieben andere Bereiche der Kriminalitätsbekämpfung zwangsläufig auf der Strecke. Man habe auch eine Aufstockung der Mittel gehofft. Im Haushalt 2022 suche man die aber leider vergebens.
Roger Pint