Sechs Wochen hatte Belgien bei den Neuinfektionen auf einem Plateau balanciert. Seit einigen Tagen explodieren die Fallzahlen aber geradezu - quer über alle Altersgruppen und Regionen. Die Zunahme sei praktisch exponentiell, erklärte Yves Van Laethem, Sprecher des Nationalen Krisenzentrums und Infektiologe, in der RTBF. In bestimmten Provinzen sei sie das sogar faktisch, unter anderem in Limburg.
Der letzte Montag brach bei den Ansteckungen alle Rekorde für das Jahr 2021, für vergleichbare Werte muss man bis Oktober 2020 (in die zweite Welle) zurückgehen. Und das sind nur die Neuinfektionen. Bekanntermaßen folgen die Krankenhausaufnahmen mit einer Verzögerung von ein bis zwei Wochen. Mit einer deutlichen Zunahme ist in den kommenden Tagen also zu rechnen.
Mehr soziale Kontakte
Ein Argument, das man häufig hört: Belgien sollte durch den vergleichsweise guten Impffortschritt doch gut dastehen? Es sei richtig, dass das Land im Vergleich zur ersten, zweiten und dritten Corona-Welle besser geschützt sei, sagte Sciensano-Virologe Steven Van Gucht in der VRT. Aber gleichzeitig sei das gesellschaftliche Leben vollständig geöffnet worden. Das müsse man berücksichtigen, ebenso wie die Tatsache, dass es jetzt viel mehr soziale Kontakte gebe. Dadurch würden die Verteidigungslinien gegen das Coronavirus viel stärker getestet als früher.
Der Virologe ging auch auf einen viel gehörten Vorwurf der letzten Tage ein: nämlich den, dass den Menschen versprochen worden sei, dass nach der Impfung alles zur Normalität zurückkehren werde. Das hätten die Politiker versprochen, nicht die Experten, so Van Gucht. Sie hätten immer gesagt, dass es wichtig sei, im Herbst und Winter noch gewisse Basisregeln zu respektieren. Etwa, dass an bestimmten Orten weiter Masken getragen würden und dass gut kommuniziert werde, dass es noch immer Risiken geben werde.
Basisregeln gelten weiterhin
Es sei der falsche Eindruck entstanden, dass sich das Corona-Problem mit dem Erreichen der Impfrate von 70 Prozent erledigt habe. Das sei aber nur eine Übergangsphase gewesen und das merke man eben jetzt. Deswegen sei es wichtig, gewisse Regeln weiter zu befolgen - die berühmten Basisregeln, die man zu schnell fallen gelassen habe, wie auch Van Laethem beklagte. Unbedingt zu Hause bleiben, wenn man sich krank fühlt, sich testen lassen, Abstand halten, Kontakte reduzieren, Mundschutzmasken tragen (insbesondere wenn verschiedene Generationen aufeinander treffen), ausreichende Belüftung und so weiter.
Und sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen, falls noch nicht geschehen. Das sei noch immer die wichtigste Verteidigungslinie. Im Übrigen sei es auch eine gute Idee, sich schon sicherheitshalber gegen Grippe impfen zu lassen, wie Van Gucht betonte. Besonders gefährdete Menschen wie Über-65-Jährige und solche mit geschwächtem Immunsystem sollten sich außerdem möglichst schnell zum dritten Mal impfen lassen. Das sei empfohlen und die notwendigen Strukturen stünden bereit, drängte Van Laethem.
In einer Woche ist wieder Konzertierungsausschuss. Ob die politisch Verantwortlichen sich davor zu neuen Entscheidungen durchringen werden, bleibt abzuwarten. Er denke, dass Beschlüsse der Politik ohnehin zu spät kommen würden, sagte Van Gucht. Wichtig sei, dass die Menschen gut begriffen, dass jetzt einige schwierige Wochen bevorstünden und dass die Basisregeln wirklich sehr wichtig blieben, so der Virologe.
Boris Schmidt