Die Diskussion um das Freihalten von Betten auf den Intensivstationen hat natürlich auch einen entschieden gemeinschaftspolitischen beziehungsweise regionalen Beigeschmack. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Impfgrade sind es hauptsächlich flämische Krankenhäuser, die Covid-Patienten aus anderen Landesteilen aufnehmen müssten.
Oder anders gesagt: Flämische Patienten müssten ihre Behandlungen vielleicht verschieben, weil die Brüsseler so schlechte Schüler in puncto Immunisierung sind. Dabei ist der bisher schon in der Coronakrise aufgelaufene Rückstand noch lange nicht aufgeholt. Das soll noch mindestens bis zum Sommer nächsten Jahres dauern, so Schätzungen.
Dass Behandlungen ausgesetzt werden mussten, sei in der Tat ein großes Problem, räumte Gesundheitsminister Vandenbroucke in der VRT ein. Er verstehe auch sehr gut den Frust der Menschen im Gesundheitssektor. Da sei man gerade dabei gewesen, den Rückstand nach und nach abzubauen und dann komme jetzt wieder so eine Entscheidung. Es sei wirklich schmerzlich, das jetzt wieder fordern zu müssen.
Allerdings wies Vandenbroucke auch darauf hin, dass diese Entscheidung durch ein Komitee gefällt worden sei, in dem auch der Gesundheitssektor beziehungsweise eben die Krankenhäuser vertreten seien. Und dass das auch nicht bedeute, dass dieses Viertel der Intensivbetten nie und unter keinen Umständen mit anderen Patienten belegt werden dürfte.
Es gehe vielmehr darum, vorbeugend zu agieren, um eben neben der Behandlung von Covid-Patienten durch deren Verteilung auch die restliche Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten. Man müsse damit rechnen, vielleicht noch eine ganze Weile mit dem Virus leben zu müssen. Mit entsprechenden bösen Überraschungen und auch mit weiteren größeren oder kleineren Wellen. Er plädiere vor allem dafür, einen sehr kühlen Kopf zu bewahren.
Damit bezieht sich Vandenbroucke auf immer lauter werdende Forderungen nach der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Die kommen eben auch von den Krankenhäusern. Er stehe voll und ganz hinter einer Pflichtimpfung für das Gesundheits- und Pflegepersonal, unterstrich der Gesundheitsminister. Das sei einfach offensichtlich, weil diese Menschen nicht nur sich selbst, sondern auch die Patienten vor dem Virus schützen müssten.
Aber eine Debatte über eine allgemeine Impfpflicht sei etwas, das das Land nicht weiterbringe. Die Vorstellung sei ja vielleicht im Prinzip eine ganz hübsche Idee. Aber was solle man denn dann in der Praxis mit den Menschen machen, die sich nicht impfen lassen wollten? Wolle man sie ins Gefängnis stecken oder erst betäuben und dann impfen?
Wer bei einer allgemeinen Impfpflicht A sage, der müsse auch B sagen, sprich an die Umsetzbarkeit denken. Das sei also wirklich kein realistisches Szenario für ihn. Vielmehr müsse man weiter daran arbeiten, die Menschen zu überzeugen, anstatt sie zwingen zu wollen. Er finde aber, dass man Menschen, die sich nicht impfen lassen wollten, ruhig eine Reihe von Freiheiten verwehren dürfe, die Geimpfte genießen können.
Oder anders gesagt: Ungeimpften dürften Beschränkungen auferlegt werden, um den Rest der Gesellschaft zu schützen, der sich eben impfen ließe. Beziehungsweise müssten sich Ungeimpfte zum Beispiel eben jedes Mal testen lassen, bevor sie ausgehen wollten. Auf bald eigene Kosten wohlgemerkt. Das sei letztlich auch schlicht eine Frage der Solidarität, so Vandenbroucke.
Aber während er es in Ordnung findet, Privilegien wie den Café-Besuch eben an eine Impfung zu koppeln, so hat das für ihn auch offensichtliche Grenzen. Auch das Leben von Menschen müsse gerettet werden, die einen Fehler gemacht hätten. Selbst wenn es sich dabei um einen schweren Fehler handele. Das tue man und müsse man seiner Meinung nach auch weiter tun. Das sei eine Frage der medizinischen Solidarität, unterstrich der Gesundheitsminister.
Boris Schmidt