Alle bisherigen Befunde sind eindeutig: Eine vollständige Impfung gegen das Coronavirus reduziert das Risiko einer schweren Erkrankung oder gar eines tödlichen Verlaufs enorm. Aber nicht jede Ansteckung führt bekanntermaßen auch tatsächlich zu Symptomen. Der Zusammenhang zwischen einer Impfung und dem Ansteckungsrisiko beziehungsweise Übertragungsrisiko ist also im Allgemeinen wesentlich schwieriger festzustellen.
Genau mit dieser Frage befasst sich aber eine neue Sciensano-Untersuchung. Die Wissenschaftler haben hier eine Besonderheit des belgischen Kontaktnachverfolgungssystems genutzt: Zwischen Ende Januar und Ende Juni ist hierzulande nämlich bei Hochrisikokontakten kein Unterschied zwischen vollständig und nicht geimpften Personen gemacht worden. Alle mussten sich ohne Unterschied einer Quarantäne unterziehen und zwei PCR-Tests ablegen.
Das bedeute, dass im Gegensatz zu den meisten anderen Studien in Belgien eben auch asymptomatische Ansteckungsfälle detektiert worden sind bei der Nachverfolgung, erklärte Laura Cornelissen von Sciensano bei der VRT. Sie hat an der neuen Untersuchung mitgearbeitet. Es sind also auch Fälle erfasst worden, bei denen es zwar zu einer Ansteckung durch den Hochrisikokontakt gekommen ist, die Angesteckten aber kein einziges Symptom entwickelten. Dabei wurden im Untersuchungszeitraum 8.000 vollständig geimpfte Hochrisikokontakte mit 282.000 ungeimpften verglichen.
Zwei Erkenntnisse
Ein Ergebnis: Bei Menschen, die mit den mRNA-Impfstoffen von Pfizer und Moderna vollständig geimpft worden waren, war das Risiko, sich bei einer infizierten Person anzustecken 74 bis 85 Prozent geringer. Dieser Schutzschirm funktionierte nach der zweiten Dosis auch deutlich besser als nach nur einer Dosis.
Zweites wichtiges Ergebnis: Wer sich trotz einer vollständigen Impfung noch mit dem Virus ansteckt, ist selbst weniger infektiös anderen gegenüber. Sprich die Chance, dass die geimpfte Person weitere Personen ansteckt, wird durch die Vakzine verringert - und zwar deutlich: 52 bis 62 Prozent weniger infektiös nämlich bezüglich einer Ansteckung weiterer, ungeimpfter Personen.
Sind hingegen sogar beide geimpft, also der Virusträger und der Hochrisikokontakt, also das potenzielle "Ansteckungsopfer", dann ist die Schutzwirkung der beiden Impfstoffe noch beeindruckender: Das Übertragungsrisiko zwischen zwei vollständig geimpften Personen ist 90 Prozent geringer als das zwischen zwei ungeimpften Personen.
Delta-Variante
Ein paar Haken haben diese eigentlich sehr positiven Ergebnisse leider doch. Die jetzt vorgestellte Sciensano-Untersuchung bezieht sich auf den Zeitraum, bevor die Delta-Variante in Belgien dominant geworden ist. Also auf die Monate, als die Alpha-Variante noch die vorherrschende war. Das bedeutet konkret, dass der Schutz der Pfizer- und Moderna-Vakzine gegen die ansteckendere Delta-Variante geringer ausfallen könnte. Es gibt nämlich internationale Studien, die das nahelegen.
Die Impfstoffe schützen sicher, ist Cornelissen aber überzeugt. Auch wenn es eben sein könne, dass der Schutz vor Ansteckung und Übertragung weniger spektakulär ausfalle als bei der Alpha-Variante. Das werde man weiter untersuchen müssen.
Und dann gibt es noch zwei weitere Unbekannte: Erstens sagt die Studie nichts über die Vakzine von Astrazeneca und Johnson&Johnson. Im Erfassungszeitraum waren für verlässliche Schlussfolgerungen zu wenige Menschen schon vollständig damit geimpft. Zweitens: die Situation gerade bei älteren Menschen. Denn die Kontaktnachverfolgung unter anderem in Alten- und Pflegeheimen läuft über separate Systeme, so dass die entsprechenden Daten nicht in diese Sciensano-Studie miteinfließen konnten. Es ist also durchaus möglich, dass der Ansteckungsschutz der untersuchten Vakzine bei dieser Risikogruppe schlechter ausfällt.
Boris Schmidt