65.000 Besucher sind 2011 zum dreitägigen Pukkelpop-Festival in Kiewit bei Hasselt gekommen. Für viele soll es die glorreiche Krönung des Rock-Sommers werden, der sich bislang sowohl durch neue Besucherrekorde als auch durch eher launenhaftes Wetter ausgezeichnet hat.
Dieser erste Tag des Pukkelpop-Spektakels, ein Donnerstag, hat schon sehr heiß und klebrig begonnen. Code Orange, Unwetterwarnung, ist ausgegeben worden. Aber weil die Sonne aus einem strahlend blauen Himmel scheint und natürlich sowohl Bier als auch Schweiß in Strömen bei bester Musik-Unterhaltung fließen, machen sich wohl die Allerwenigsten irgendwelche Sorgen ums Wetter.
Nach der Mittagszeit beginnen sich dann aber schon turmartige Wolken am Horizont aufzubauen – für meteorologisch geschulte Augen Vorboten für eine instabile Wetterlage. Und zwar eine, die sich schnell zum Schlechteren wenden kann.
Gegen 18 Uhr betritt die angesagte britische Band Skunk Anansie die Hauptbühne. Da ist der Himmel noch klar, es ist einfach ein schöner Sommertag, wie die Sängerin der Band sich am Mittwoch in der Zeitung Het Nieuwsblad erinnert. Deswegen schenkt auch sie den Hinweisen im Backstage-Bereich, dass es zu Unwettern kommen könnte, keinen Glauben.
Während die Band ihren dritten Song spielt, beginnt das Wetter aber tatsächlich umzuschlagen. Und zwar sehr schnell und heftig. Sie habe noch nie so etwas erlebt, beteuert die Sängerin zehn Jahre danach. Erst kommen die schweren Wolken, dann beginnt Regen zu fallen, stärker und stärker. Die schwitzenden und tobenden Fans vor der Bühne freuen sich über die Abkühlung, die Stimmung hat etwas von einem brodelnden Hexenkessel – und Skunk Anansie spielen weiter.
Aber innerhalb von gefühlt wenigen Sekunden kippt die Stimmung von ekstatischem Feiern in Panik um, als sehr starker Wind aufkommt. Die Sängerin der Band wird buchstäblich von einem Windstoß von den Füßen gerissen, die Bühne in aller Eile geräumt und die Musiker versuchen, sich vor den tobenden Elementen in Sicherheit zu bringen. Vielen Besuchern wird spätestens jetzt klar, dass das kein erfrischender kurzer Sommerguss ist, sondern dass sie sich in ernster Gefahr befinden.
Gegen 18:15 Uhr ist der strahlende Sommertag quasi zur Nacht geworden, so dunkel ist es mittlerweile über dem Festivalgelände. Und dann passiert das, was manche hinterher als Inferno bezeichnen werden. Hagelkörner mit bis zu mehreren Zentimetern Durchmesser, Fallböen mit geschätzten Geschwindigkeiten von bis zu 170 Kilometern pro Stunde und 36 Liter Regen pro Quadratmeter innerhalb von 20 Minuten – so viel wie sonst in einem ganzen Monat.
Dem haben die Campingzelte der Besucher nichts entgegenzusetzen. Zelte, in die sich viele Menschen vor dem Regen geflüchtet hatten. Aber auch die stabileren Konstruktionen wie die Bühnen, die zum Bersten gefüllten Festivalzelte und andere Infrastruktur können den Elementen oft nur kurz standhalten, bevor sie beginnen zusammenzubrechen.
Innerhalb von Minuten sieht das Festivalgelände aus wie ein Trümmerfeld. Verschiedene Zeugen werden die Szene danach mit der Explosion einer Bombe vergleichen oder mit einem Kriegsschauplatz. Andere sprechen von totalem Chaos, so wie der Ostbelgier Mario damals vor zehn Jahren im BRF. "Überall sind Bäume verteilt, die ganze Festivalwiese steht unter Wasser, bis zu den Knien steht man im Wasser. Das Chapiteau-Zelt ist eingestürzt, eine komplette Balustrade ist umgefallen, totales Chaos."
Ein Chaos, das noch dadurch vergrößert wird, dass die Mobilfunknetze nach der Katastrophe vollkommen überlastet sind.
Und doch hat der Spuk gerade einmal höchstens 20 Minuten gedauert. Danach habe wieder strahlendes Wetter geherrscht, erinnert sich die Sängerin von Skunk Anansie. Sehr schnell sind Feuerwehr und Krankenwagen zur Stelle, Anwohner helfen den geschockten Besuchern, wo sie können.
Neben den großen materiellen Schäden wird nun auch rasch klar, dass es auch zahlreiche Opfer gibt. Wie viele, das wird sich erst im Lauf der Nacht endgültig klären: Fünf Todesopfer sind am Ende zu beklagen. Hinzu kommen noch 140 Menschen, die so schwer verletzt worden sind, dass sie medizinische Hilfe benötigten. Angesichts dieser Tragödie wird das zunächst nur unterbrochene Festival am nächsten Morgen umgehend beendet.
Boris Schmidt