Die Gruppe von Freunden aus Brüssel wollte einfach das gute Wetter ausnutzen. Mit dem Zug fuhren sie deshalb an die Küste, nach Ostende. Wie so viele andere Menschen an diesem Tag. Ihr Ziel: der Strandabschnitt zwischen der Westmole und dem Kursaal. Dieser Bereich gehört zu den beliebtesten der Stadt und ist außerdem vom Bahnhof aus der nächstgelegene. Der Andrang ist dort regelmäßig so groß, dass noch immer ein Reservierungssystem in Kraft ist.
Die Freunde tun dort das, was man eben am Strand tut: sich am und im Wasser vergnügen. Als die Gruppe gegen halb vier aus dem Meer kommt, bemerken sie, dass einer von ihnen nicht mehr da ist, wie der diensttuende Bürgermeister von Ostende, Kurt Claeys, in der VRT zusammenfasste.
Der betreffende Strandabschnitt ist überwacht, das heißt es sind Rettungsschwimmer anwesend, die über die Sicherheit der Menschen wachen. Diese Retter alarmieren die anderen Angehörigen der Freundesgruppe umgehend, woraufhin eine großangelegte Suchaktion beginnt. Zunächst werden alle anderen Schwimmer aus dem Wasser beordert, um besser nach dem vermissten Siebzehnjährigen suchen zu können. Später kreist ein Hubschrauber, auch Drohnen kommen zum Einsatz. Auf dem Wasser selbst suchen verschiedene Boote und Schiffe nach dem jungen Mann. Feuerwehr, Polizei und Küstenwache eilen zur Verstärkung. Auch der Rest des Strandes und der Deich werden durchkämmt, in immer größerer Entfernung zum Unglücksort – stundenlang. Bis rund vier Stunden später die traurige Nachricht eintrifft, dass ein lebloser Körper gefunden worden ist. Nicht weit von der Stelle, an der der junge Mann zuletzt gesehen worden war.
Gefahr Springflut
Die Staatsanwaltschaft Westflandern, die das Unglück untersucht, geht von einem tragischen Unfall aus. Der Mann sei vermutlich wegen der Strömung in Schwierigkeiten geraten und ertrunken, heißt es. Das Meer sei ruhig gewesen und es habe nur sehr wenig Wind gegeben, bestätigte Bart Van Eechoute, Hauptretter von Middelkerke. Allerdings hat sich unter der trügerisch harmlosen Oberfläche eine andere Gefahr verborgen. Es sei gerade Springflut. Und das bedeute, dass die Strömung sehr stark sei, so Van Eechoute.
Diese Strömung sei am Nachmittag, zwischen vier und fünf Uhr am stärksten gewesen, also etwa um die Zeit des Verschwindens des jungen Mannes. Diese Strömung könne eine Geschwindigkeit von bis zu vier Kilometern pro Stunde erreichen, wenn man sich tiefer im Wasser befinde. Das sei schon recht stark. Dagegen kämen dann auch Durchschnittsschwimmer nicht mehr an.
Gerade bei Springflut gibt es noch ein anderes Phänomen: Aufgrund des schnell steigenden Wassers kann man unerwartet zwischen flacheren Bereichen wie etwa Sandbänken in einen viel tieferen, quasi unsichtbaren Graben im Wasser fallen, in dem das Wasser eben auch schneller fließt. Reichte einem das Wasser also vielleicht gerade noch bis zum Knie, dann kann es einem im nächsten Moment bis zum Hals reichen – oder noch höher. Das könnte dem jungen Mann zum Verhängnis geworden sein, vermuten die Rettungskräfte, eine unerwartet tiefe Stelle im Wasser mit starker Strömung. Er konnte außerdem laut Medienberichten, die sich auf seine Familie berufen, nur sehr schlecht oder sogar gar nicht schwimmen.
Rettungsdienste mahnen zu Vorsicht
Die Rettungsschwimmer am Strand von Ostende haben sich nach Meinung von An Beun von der Küstenrettung aber nichts vorzuwerfen. Sie hätten am Donnerstag fantastische Arbeit geleistet; und dass so ein Unglück in einer überwachten Badezone passiere, sei eine absolute und tragische Ausnahme.
Nur gäbe es sowas wie absolute Sicherheit eben auch nicht. Die Rettungsdienste mahnen deshalb eindringlich zur Vorsicht. Gerade auch hinsichtlich der noch anstehenden warmen Sommertage und dem erwarteten Andrang auf die Küste. Egal wie ruhig und harmlos das Meer aussehe, es könne immer gefährlich sein. Das gelte zum Beispiel auch für Kinder, die das manchmal nicht begreifen könnten. Obwohl überwachte Strandabschnitte natürlich besonders sicher seien, müssten die Badenden mögliche Gefahren auch hier immer vor Augen haben. Auch und besonders an Tagen, an denen sehr viel los sei. Denn dann werde es für die Rettungsschwimmer extrem schwierig, alle Menschen ständig im Blick zu behalten und eventuelle Notsituationen rechtzeitig zu erkennen.
Boris Schmidt