Eines kann man Gesundheitsminister Vandenbroucke wohl kaum vorwerfen: überschwänglichen Optimismus. Schließlich hat er nicht umsonst den Ruf, klinisch, abgeklärt und nüchtern zu sein. Wenn also Vandenbroucke sagt, dass man sich nicht täusche, dass die Coronazahlen nicht nur gut, sondern sogar ausgezeichnet seien, dann muss das einfach stimmen. Das sei das Ergebnis der gemeinsamen Anstrengungen und der Solidarität aller Beteiligten, so Vandenbroucke in der RTBF.
Worin man sich allerdings sehr wohl täuschen könne, sei die Annahme, dass wir das Virus bereits los seien. Denn davon sei Belgien noch weit entfernt. Deswegen müssten die Anstrengungen auch fortgesetzt werden. Er zieht einen Vergleich zur Tour de France: Belgien habe, was die Impfungen angehe, die Silbermedaille errungen als Zweiter im europäischen Feld nach Island. Aber das sei eben nur ein Etappensieg, warnt Vandenbroucke. Noch nicht die Champs-Élysées.
Aktuell seien 35 Prozent der belgischen Bevölkerung vollständig geimpft. Aber das Ziel, das man erreichen müsse, seien eben mindestens 70 Prozent. Dieses Ziel sollte laut Plan im September erreicht werden - und das hinzubekommen sei essenziell. Aber bis dahin sei man eben noch in einer Übergangsphase von etwa zwei Monaten. Also einer Phase, in der man zwar bereits die spektakuläre Wirkung der Impfkampagne sehen könne. Aber man müsse sich eben auch bewusst machen, dass die Impfung noch unvollständig sei. Und damit gebe es immer Risiken.
Vandenbroucke glaubt, dass man extrem vorsichtig bleiben müsse, um zu verhindern, dass zum Ende des Sommers massenhaft neue Ansteckungen eingeschleppt würden. Was zu einem Wiederaufflammen der Infektionen in Belgien führen könne, warnt der Gesundheitsminister. Dazu gehört für ihn persönlich auch, den gesunden Menschenverstand zu benutzen. In Hochrisiko- beziehungsweise Virusvariantengebiete zu reisen, ohne vollständig geimpft zu sein, sei nicht sehr intelligent, so Vandenbroucke. Verboten sei das zwar nicht. Aber er glaube trotzdem, dass davon abzuraten sei.
Aber auch beim Verhalten im ganz normalen Alltag mahnt er für die kommenden zwei Monate noch zur Vorsicht. Gerade wenn man sich in der Gesellschaft noch nicht vollständig geimpfter Personen befinde, müsse man alle Schutzmaßregeln die möglich seien, auch befolgen. Das sei schmerzhaft und sicher kein Verhalten, das man für immer beibehalten wolle. Aber er sei wirklich überzeugt davon, dass Vorsicht vorerst das Gebot der Stunde bleiben müsse.
Der Gesundheitsminister appelliert in puncto Verantwortungsbewusstsein auch ganz explizit an eine bestimmte Bevölkerungsgruppe: die Menschen, die im Gesundheits- und Pflegesektor arbeiten. Denn gerade hier scheint die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, je nach Region und Einrichtung oft unterdurchschnittlich zu sein. Und das trotz des besonders hohen Risikos. Er verstehe das Zögern dieser Menschen nicht. Über eine Impfpflicht für das Pflegepersonal, die von verschiedenen Seiten ja immer lauter gefordert wird, will er zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht sprechen. Sie explizit ausschließen aber genauso wenig. Er erwarte zunächst konkrete und aktuelle diesbezügliche Zahlen vom Institut für Volksgesundheit, Sciensano, so der Gesundheitsminister.
Bis dahin blieben Freiwilligkeit und die Impfung aus Überzeugung für ihn das Mittel der Wahl. Die Menschen, die in der Pflege arbeiteten, müssten überzeugt werden, dass es in ihrem eigenen Interesse, aber auch in dem ihrer Patienten und selbst ihrer Angehörigen sei, sich impfen zu lassen.
Boris Schmidt