Die an sich schon sehr wichtige Meldung über den Untersuchungsausschuss ist völlig in den Hintergrund gedrängt worden, und zwar von einer offensichtlich sehr brisanten E-Mail. Aber der Reihe nach.
Am 8. Februar 2018 wurde öffentlichkeitswirksam der symbolische erste Spatenstich gesetzt für das Antwerpener Jahrhundertprojekt Oosterweel-Verbindung. Mit anwesend: der damalige N-VA-Mobilitätsminister Ben Weyts und auch Parteichef und Bürgermeister der Scheldestadt Bart De Wever.
Bei Bauvorhaben dieser Größenordnung sind natürlich auch viele vorbereitende Maßnahmen notwendig, darunter auch hunderte Messungen durch das öffentliche Unternehmen Lantis, das ist die Bau- beziehungsweise Betreibergesellschaft der Oosterweel-Verbindung. Bei diesen Messungen wurden lokal Probleme mit zu hohen PFOS-Werten festgestellt. Das hat Lantis auch an die flämische Abfallagentur OVAM und an die flämische Umweltbehörde VMM gemeldet. Und damit sollten dann eigentlich auch die politisch Verantwortlichen im Bilde gewesen sein – von der flämischen Regierung bis zum Antwerpener Rathaus. Das hatte Lantis-Geschäftsführer Luc Hellemans unter anderem in der VRT-Sendung "Terzake" beteuert.
Dass tatsächlich alle politischen Instanzen schon 2017 auf dem Laufenden gewesen sind über das Problem, dafür ist jetzt eben wohl ein Beweis aufgetaucht in Form besagter E-Mail. Die ging am 29. September 2017 von Lantis an im Prinzip alle, die bei der Oosterweel-Verbindung etwas zu melden hatten. Darunter der damalige N-VA-Ministerpräsident Geert Bourgeois, seine Vizes Liesbeth Homans, ebenfalls N-VA, Bart Tommelein von der OpenVLD, Hilde Crevits von der CD&V, an Ben Weyts als N-VA-Mobilitätsminister und Joke Schauvliege als CD&V-Umweltministerin. Plus diverse Schöffen und weitere Mitarbeiter der Politiker.
Und auch an: Bart de Wever, Bürgermeister von Antwerpen und N-VA-Boss. Der wollte zwar bisher nicht selbst reagieren, sein Sprecher hat aber der VRT bestätigt, dass De Wever 2017 Bescheid wusste. Und dass man das ja auch nie bestritten habe. Aber ohnehin sei das eine Angelegenheit zwischen der OVAM und Zwijndrecht und De Wever sei nicht Bürgermeister der Gemeinde, sondern der Stadt Antwerpen.
Lantis hatte bei seinen Messungen also wie gesagt festgestellt, dass die PFOS-Verunreinigungen teils viel größer waren als angenommen. Allerdings hat Lantis nicht auf dem Gelände der 3M-Fabrik selbst oder in der Gemeinde Zwijndrecht gemessen, sondern nur in der Oosterweel-Bauzone in der Nähe der Fabrik. Allerdings warnte Lantis, dass die Belastung auch in Zwijndrecht hoch sein könne. Deswegen empfahl das Unternehmen, auch dort Messungen durchführen zu lassen.
Am 27. September 2017 wurde Lantis aber von der flämischen Abfallgesellschaft OVAM informiert, dass die PFOS-Werte in der Bauzone kein Risiko für die Bevölkerung darstellten. Die OVAM empfahl aber auch Messungen in Zwijndrecht. Zu einem ähnlichen Schluss kam auch ein Toxikologe, den Lantis beauftragt hatte. Auch er schätzte das Risiko als begrenzt ein, obwohl die PFOS-Grenzwerte stellenweise überschritten wurden. Pikant ist aber, dass besagter Toxikologe in einem seiner Berichte auch Ratschläge für die lokale Bevölkerung aufführte: Unter anderem sollten sie keine Eier von dort gehaltenen Hühnern essen. Und Eltern sollten ihre Kinder auch nicht auf dem belasteten Gelände spielen lassen.
Und dann passierte in Zwijndrecht: Offenbar nichts. Keine Informationsveranstaltungen für die Bevölkerung und keine Messungen. Bodenproben wurden dort erst dieses Jahr genommen – und zwar durch die Gemeinde selbst. Und wie wir wissen, kam die Gemeinde unmittelbar zu sehr alarmierenden Schlussfolgerungen.
Entsprechend sauer reagiert am Donnerstagmorgen André Van de Vyver in der VRT, damals wie heute grüner Bürgermeister von Zwijndrecht.
Da sich die PFOS-Fabrik von 3M auf dem Gebiet seiner Gemeinde befinde, scheine es ihm doch nur logisch, dass er 2017 auch hätte informiert werden sollen. Fast noch eher als die Stadt Antwerpen jedenfalls, so Van de Vyver. Er finde es, ganz vorsichtig ausgedrückt, schon ziemlich merkwürdig, dass das unterblieben sei.
Warum die politisch Verantwortlichen also nicht schon 2017 Alarm geschlagen haben, das ist jetzt die große Frage. Der nicht ganz unlogische aber deswegen nicht weniger ungeheuerliche Verdacht steht im Raum, dass möglicherweise das Projekt "Oosterweel-Verbindung" auf keinen Fall gefährdet werden sollte. Es hatte schon vor dem ersten Spatenstich Proteste aus der Bevölkerung gegeben. Vielleicht befürchtete man also, dass das wieder aufflammen könnte.
Andere glauben, dass hier ein potenziell sehr schädliches Dossier wegen den Gemeinderatswahlen unter den Teppich gekehrt werden sollte. Fragen, mit denen sich sicher auch der frisch aus der Taufe gehobene parlamentarische Untersuchungsausschuss beschäftigen wird.
Boris Schmidt
Zur Abwechslung auch mal ein Skandal in Flandern. Ausgerechnet im Umfeld von Bart De Wever....
Honi soit qui mal y pense.