PFOS oder ausgeschrieben Perfluoroctansulfonsäure gehört zur Gruppe der PFAS, der per- oder polyfluorierten Alkylverbindungen. Diese komplizierten Namen vergessen wir aber gleich wieder, wichtig ist vor allem eine seiner Eigenschaften: PFOS ist wasser-, fett- und schmutzabweisend. Deswegen wurde es jahrzehntelang bei der Herstellung sehr vieler Alltagsgegenstände verwendet, unter anderem Regenjacken, Putzmittel, Verpackungen und auch für die Antihaftbeschichtung von Pfannen. Aber leider baut sich PFOS auch kaum ab. Das bedeutet: Gelangt es einmal in die Umwelt, dann bleibt es da mehr oder weniger bis in alle Ewigkeit.
Die PFOS-Teilchen sind außerdem so klein, dass sie auch von Pflanzen, Tieren und natürlich Menschen aufgenommen werden können. Sind sie einmal im menschlichen Körper gelandet, dann können sie dort Jahrzehnte bleiben. Hochgiftig beziehungsweise unmittelbar tödlich ist PFOS wohl nicht. Aber wenn man regelmäßig hohe Dosen aufnimmt, kann das das Hormongleichgewicht des Körpers stören, zu erhöhten Cholesterinwerten und zu Wachstumsstörungen führen. Außerdem erhöht PFOS wohl das Krebsrisiko.
PFOS ist ein synthetischer Stoff der Chemieindustrie, es kommt also nicht natürlich vor. Und damit ist auch klar, woher die Verschmutzung kommt: Vom Gelände der Fabriken können die Teilchen sogar vom Wind oder über Abwässer über große Gebiete verteilt werden. Eine solche Fabrik ist die von 3M in der Gemeinde Zwijndrecht in der Provinz Antwerpen. Der amerikanische Konzern hat dort von den 1970er-Jahren bis 2002 PFOS produziert.
Im wahrsten Sinne des Wortes ans Tageslicht gekommen sind diese Altlasten vor rund einem Monat: Bei Bauarbeiten für den Scheldetunnel der Oosterweel-Verbindung sind sehr hohe PFOS-Konzentrationen entdeckt worden. Das Jahrhundertprojekt Oosterweel-Verbindung soll ja den Antwerpener Autobahnring schließen und die Stadt so vor dem Verkehrsinfarkt retten.
Seitdem überschlagen sich die Ereignisse: Unter anderem sind Menschen im Umkreis von fünf Kilometern um die Fabrik aufgerufen worden, keine lokalen Eier mehr zu verzehren und auch mit anderen Nahrungsmitteln aus dem eigenen Garten vorsichtig zu sein. Mehr als eine Million Menschen könnten im Umkreis von 15 Kilometern betroffen sein.
Neben der eigentlichen Verunreinigung werden die Fragen an die flämische Politik immer lauter: Wie konnte es so weit kommen? Wer wusste was und wann? Und sind hier wirtschaftliche Interessen über die Volksgesundheit gestellt worden? Manche behaupten ja, dass das Problem seit 20 Jahren bekannt gewesen sei.
Ein Datum, das da wesentlich belastbarer ist, ist das Jahr 2018. Damals hat die Bau- beziehungsweise Betreibergesellschaft der Oosterweel-Verbindung, das öffentliche Unternehmen Lantis, einen Vergleich mit 3M geschlossen. Dessen Details sind geheim, aber laut flämischen Medien soll Lantis 63 Millionen Euro für die PFOS-Beseitigung gezahlt haben – und dabei handelt es sich natürlich um Steuergelder -, während 3M mit 75.000 Euro davongekommen sein sollte.
Untersuchungsausschuss
Zuständiger Minister für öffentliche Bauvorhaben in Flandern war damals ein Ben Weyts von der N-VA, heute unter anderem flämischer Vizeministerpräsident und Unterrichtsminister. Inwiefern das seiner Parteikollegin, der flämischen N-VA-Justiz- und Umweltministerin Zuhal Demir klar war, das ist auch eine interessante Frage. Sie hat letzte Woche den ersten flämischen parlamentarischen Untersuchungsausschuss in rund 20 Jahren gefordert.
So oder so, die flämische Regierung unter N-VA-Ministerpräsident Jan Jambon und vermutlich auch Parteivorsitzender und Bürgermeister von Antwerpen Bart De Wever dürften hier gerade ein ziemlich toxisches Dossier in den Händen halten. Und das dürfte am Dienstagabend noch ein bisschen heißer geworden sein mit den Aussagen von Lantis-Geschäftsführer Luc Hellemans bei "Terzake". Der relativierte zunächst einiges in puncto Kosten für die Sanierung und über die angeblich nur 75.000 Euro für 3M.
Aber am interessantesten waren doch seine Klarstellungen zu den Informationsflüssen: Im Verwaltungsrat von Lantis säßen jede Woche zwei Regierungskommissare, die alles kontrollieren und an die die politisch Verantwortlichen weitermelden müssten. Jedes Jahr seit 2017 sei von seinem Unternehmen konsequent über PFOS und den Umgang damit informiert worden. Von einem Versteckspiel könne keine Rede sein. Jedes Mal und sehr konsequent habe man Bericht erstattet über PFOS, so Luc Hellemans.
Ministerpräsident Jan Jambon erklärte am Mittwoch im flämischen Parlament, dass die flämische Regierung loyal mit der PFOS-Untersuchungskommission zusammenarbeiten will.
Boris Schmidt