US-Präsident Joe Biden hat sich in den letzten Tagen immer wieder als so eine Art "Anti-Trump" gezeigt: Er wollte den Nato-Partnern zeigen, dass dieses Kapitel vorbei ist.
Was Artikel fünf angeht: Das ist eigentlich der Kern der Nato-Charta, die Quintessenz des Bündnisses. Artikel fünf ist die sogenannte Beistandsklausel. Die besagt eben: Ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle, und er wird kollektiv beantwortet.
Donald Trump hatte mehrfach Zweifel daran geweckt, dass Amerika im Ernstfall noch dieser Pflicht nachkommen würde. Joe Biden hat diesen "Eindruck" jetzt korrigiert: "Artikel fünf ist für uns eine heilige Pflicht", sagte Biden. Deutlicher geht echt nicht. Er erinnerte zugleich daran, dass diese Beistandsklausel erst einmal aktiviert wurde, nämlich durch die USA. Das war nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Damals hätten die Verbündeten den Vereinigten Staaten zur Seite gestanden. Und die USA würden das gleiche tun: "Ich möchte, dass die Europäer wissen, dass die Vereinigten Staaten da sind", sagte Joe Biden. In den Ohren vieler osteuropäischer Staaten muss sich das wie Musik angehört haben - das gilt vor allem für die baltischen Staaten, also Estland, Lettland und Litauen. Die fühlen sich nämlich insbesondere durch Russland bedroht.
US-Präsident Biden unterstreicht Bedeutung der Nato für die Vereinigten Staaten
Verhältnis zu Russland
Das bisherige Strategiekonzept ist aus dem Jahr 2010. Damals ging man noch davon aus, dass eine Partnerschaft mit Russland möglich ist. Dann kamen aber die völkerrechtswidrige Annektierung der Krim und der Abschuss von MH17. Daneben gab es auch Giftanschläge auf europäischem Boden. Nicht zu vergessen Cyberangriffe aus Russland, oder die Fake News, mit denen Russland die westlichen Staaten berieselt. Die Beziehungen mit Russland seien so schlecht wie seit dem Ende des Kalten Krieges, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schon zum Auftakt des Gipfels und auch nochmal danach. Russland habe sich in den letzten Jahren sehr aggressiv verhalten, sagte Stoltenberg. Die Nato verfolge aber eine doppelte Strategie gegenüber Russland: Einerseits entschlossene Verteidigung, andererseits Dialog.
Eine ähnliche Haltung will die Nato jetzt auch in ihren Beziehungen zu China einnehmen. In dem Sinne, dass man China jetzt als mögliche Bedrohung ausdrücklich benennt. Grob gesagt bedeutet das, dass man China jetzt auf dem Schirm haben wird. Bei früheren Nato-Treffen kam China allenfalls am Rande vor, in einem Satz. In den letzten Jahren habe sich China aber gewandelt. Man reagiere da auch auf die Entwicklungen der letzten Jahre, sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg. Chinas Einfluss wachse und China verhalte sich in seiner Einflusssphäre zunehmend aggressiver. Nicht nur das: China rückt uns näher auf die Pelle, sagte Stoltenberg: "Wir sehen China im Internet, wir sehen China in Afrika, am Nordpol", sagt Stoltenberg. "Und wir sehen auch, wie China in strategischen Einrichtungen bei uns investiert, um diese dann zu kontrollieren."
Es war vor allem Joe Biden, der in diese Richtung Druck gemacht hatte. Es sind vor allem die USA, die China als Konkurrenz betrachten, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in Bezug auf die politischen Systeme. "Wir wollen aber keinen neuen Kalten Krieg und China ist auch nicht unser Feind", betonte Jens Stoltenberg...
Bilanz aus Gipfel
Generalsekretär Jens Stoltenberg ist nach dem Nato-Gipfel vor die Presse getreten. Er hat erstmal betont, dass die Nato-Mitglieder sich tatsächlich auf die Reformagenda 2030 geeinigt haben. Unter anderem bedeutet das auch, dass sich die Mitgliedstaaten verpflichten, mehr in die gemeinsamen Sicherheitsanstrengungen zu investieren. Jetzt beginne ein neues Kapitel in der Geschichte der Allianz, sagte Stoltenberg. Alle seien sich einig, dass Europäer und Amerikaner im globalen Wettbewerb zusammenstehen müssen, um gemeinsam ihre Werte und ihre Interessen zu verteidigen.
Was man aber vor allem festhalten muss, das ist, dass die Partner wieder enger zusammengerückt sind - das nicht nur wegen des Bekenntnisses von Joe Biden zu Artikel fünf. Es ging wohl vor allem auch darum, die Seite Donald Trump umzublättern. "America is back", hatte Joe Biden schon im Vorfeld des Gipfels immer wieder gesagt: Amerika ist zurück.
Am Dienstag wird Joe Biden noch von König Philippe empfangen. Danach wird der US-Präsident mit den Spitzenvertretern der EU zusammentreffen. Da dürfte die Botschaft wohl dieselbe sein: Amerika ist zurück. Zwar sind damit wohl längst nicht alle Streitpunkte ausgeräumt - das gilt für die Nato ebenso wie die Beziehungen zwischen den USA und der EU. Aber das Gesprächsklima ist zumindest wieder konstruktiv.
Roger Pint