"Wir befinden uns in einer ernsten Situation. Und wir müssen alles tun, um die Lage unter Kontrolle zu halten": Wieder einmal wendet sich Premierminister Alexander De Croo mit ernster Miene und mahnenden Worten an die Bevölkerung. Klar: Irgendwann wirkt das inflationär, aber die Zahlen geben dem Premier wohl recht.
Die steigende Tendenz ist nicht mehr zu leugnen: Knapp 3.000 Neuinfektionen pro Tag, ein Plus von einem Viertel. Auch die Zahl der Krankenhausaufnahmen wächst. Vor allem auf den Intensivstationen beginnt sich die Lage zuzuspitzen.
Für die Krankenhäuser wurde Phase 1B ausgerufen, das bedeutet, dass die Hälfte aller Intensiv-Beten für Covid-Patienten freigehalten werden müssen. De facto ist das in vielen Intensivstationen schon der Fall - in dem Sinne, dass die Hälfte der Betten bereits belegt ist. Insgesamt 523 Patienten liegen im Moment auf der Intensivstation, so viele wie seit dem 22. Dezember nicht mehr.
Das Institut für Volksgesundheit, Sciensano, ist der Frage nachgegangen, wo genau sich die Menschen anstecken. Das Ergebnis dieser Studie hat dafür gesorgt, dass der Premierminister und sein Arbeitsminister Pierre-Yves Dermagne gleich mal die Vertreter der Arbeitgeber einbestellt haben. Denn nach den neuesten Erkenntnissen haben sich vier von zehn Infizierten am Arbeitsplatz angesteckt. Der Arbeitsplatz ist damit Infektionsquelle Nummer eins, vor den Schulen.
Parallel dazu zeigen die Mobilitätszahlen, dass wieder mehr Menschen das Homeoffice verlassen und sich wieder zu ihrem Arbeitsplatz bewegen. Bei Kontrollen der Arbeitsinspektion wurden bei fast einem Fünftel der besuchten Betriebe Regelverstöße festgestellt. Deswegen hat die Regierung denn auch gegenüber den Arbeitgebern nachdrücklich dafür plädiert, die Homeoffice-Pflicht zu befolgen, so kompliziert es auch sein mag, zumal dieser Zustand ja schon seit Monaten andauert.
"Wir sollten uns unbedingt an die Homeoffice-Pflicht halten", so der Appell des Premiers. Nur dann bleibt der aktuelle Lockerungsfahrplan realistisch. Tun wir das nicht, dann können wir diese Perspektive vergessen - und das ist doch eigentlich keine Option", sagt Alexander De Croo.
Mehr denn je ruhen also alle Hoffnungen auf der Impfkampagne. Nur gibt es da ja seit einigen Tagen sehr ernste Zweifel. 14 EU-Länder haben inzwischen die Impfungen mit dem Präparat von Astrazeneca ausgesetzt. Sie reagierten damit auf Berichte über eine Häufung von unter anderem Thrombose-Fällen bei Geimpften. Ungeachtet dessen haben die belgischen Behörden entschieden, dass die Impfung mit Astrazeneca nicht ausgesetzt wird.
Vernünftige Entscheidung
Von den anerkannten Wissenschaftlern hört man da keine Widerworte. Ganz im Gegenteil. "Belgien hat da eine sehr vernünftige Entscheidung getroffen", sagte etwa der Löwener Intensivmediziner und Uni-Professor Geert Meyfroidt in der VRT. Man habe eine kühlen Kopf bewahrt, sich auf die Fakten basiert und auf die EMA gehört.
Die EMA, die Europäische Arzneimittelbehörde, will zwar erst Donnerstag die Ergebnisse einer neuen Untersuchung bekanntgeben. Doch machte die Leiterin der Agentur schon am Dienstag kaum einen Hehl daraus, dass es wohl bei dem positiven Gutachten bleiben wird.
Natürlich wurden Blutgerinnsel nachgewiesen, deren Folge Thrombosen sein können.
"Nur sind Blutgerinnsel nicht selten", sagt Geert Meyfroidt, "und die Zahl der Fälle, die jetzt bei Geimpften festgestellt wurden, die liegt sogar unter dem Niveau, das statistisch eigentlich zu erwarten wäre. Es gibt zudem keinen Beweis für einen unmittelbaren Zusammenhang. Wir sehen bislang keine ursächliche, sondern nur eine zeitliche Korrelation."
Der renommierte Virologe Marc Van Ranst sieht das genauso. Zunächst einmal sei eine statistische Abweichung nicht erkennbar. Hinzu kommt: Stellt man sich mal die Frage, wie viele Blutgerinnsel bzw. Thrombosen festgestellt wurden bei Menschen, die mit dem Pfizer-Präparat geimpft wurden, dann kommt man in etwa an dieselbe Zahl. Hier wird Zeit vergeudet, so das Urteil von Van Ranst. Zeit, die wir nicht haben. Denn die Nebenwirkungen dieser Verzögerungen, die sind bekannt: mehr Covid-Fälle, mehr Tote.
Geert Meyfroidt denkt denn auch schon einen Schritt weiter: In den anderen Ländern dürften sich die Astrazeneca-Chargen ja inzwischen schon stapeln. Könnte man sich da nicht an Astrazeneca wenden und um eine Aufstockung der Lieferungen bitten?
Roger Pint