"Lasst uns auf Nummer sicher gehen, so lautet die vorläufige Empfehlung", sagte der föderale Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke in der VRT. Und "Nummer sicher", das heißt im vorliegenden Fall: Wir warten auf genauere Daten.
Man wusste ja schon, dass beim Astrazeneca-Impfstoff wichtige Daten fehlten. Unter den Probanden, an denen das Präparat getestet worden war, waren zu wenige Menschen über 55. Ob das Mittel in dieser Altersgruppe also die gewünschte Wirkung entfaltet, kann man nicht mit Sicherheit wissen. "Und in dem Fall ist es naheliegend, dass man den Impfstoff erstmal nur den Menschen spritzt, bei denen er nachweislich wirkt, also der Altersgruppe zwischen 18 und 55", sagte Vandenbroucke in der RTBF.
So weit, so nachvollziehbar. Doch wirft diese Empfehlung mal eben die gesamte Impfstrategie über den Haufen. Gerade in Belgien nahm der Astrazeneca-Impfstoff nämlich in der ersten Phase eine wichtige Rolle ein. Nach der derzeitigen Planung wollte man ja eigentlich im März mit der Impfung der Menschen über 65 beginnen. Das "Arbeitspferd" hätte der Impfstoff von Astrazeneca sein sollen, unter anderem, weil der bei Kühlschranktemperatur gelagert werden kann und damit einfacher zu transportieren ist.
Dieses Arbeitspferd fällt also zumindest für die Impfung älterer Menschen erstmal aus. Wobei da ja noch hinzukommt, dass Astrazeneca ohnehin wesentlich weniger Impfdosen liefert als ursprünglich vereinbart.
Gesundheitsminister beraten weitere Strategie
"Wir werden auf jeden Fall unsere Impfstrategie anpassen müssen", sagt Frank Vandenbroucke. "Zwar handelt es sich erstmal nur um eine vorläufige Empfehlung. Nicht auszuschließen ist, dass in einigen Wochen neue Daten vorliegen, die vielleicht doch beweisen, dass der Impfstoff für Über-55-Jährige geeignet ist. Aber für die jetzt laufende Phase wird man wohl das Timing überarbeiten müssen."
Am Mittwochvormittag haben alle Gesundheitsminister des Landes über die Lage beraten. Am Abend wird sich die Impf-Taskforce ein erstes Mal über die Impfstrategie beugen. "Wir werden aber wohl noch in dieser Woche eine Entscheidung treffen", verspricht Vandenbroucke.
Eine Anpassung der Impfstrategie, da wird natürlich der eine oder andere hellhörig. Gerade erst stand ja die Forderung im Raum, die jungen Menschen in der Prioritätenliste zumindest etwas höher einzustufen. Und gleich nachdem die neue Empfehlung zum Astrazeneca-Impfstoff bekannt geworden war, bekam diese Idee neuen Auftrieb. PS-Chef Paul Magnette etwa erklärte gleich, dass man jetzt ja statt der älteren Menschen tatsächlich Studenten impfen könne.
Kein Ticket in die Freiheit
Frank Vandenbroucke warnte aber vor Missverständnissen. Es ist nicht so, dass eine Impfung ein individuelles Ticket in die Freiheit ist. Konkret: Es stimmt einfach nicht, dass man den jungen Menschen nur helfen kann, indem man sie impft. Wenn man jungen Menschen wirklich helfen will, dann muss man vielmehr die Risikogruppen impfen.
Denn, und das heben am Mittwoch auch nochmal einige Zeitungen hervor, alle Corona-Einschränkungen verfolgen letztlich immer nur ein Ziel: Man muss verhindern, dass die Krankenhäuser unter dem Druck zusammenbrechen. Diesen Druck kann man nur verringern, indem man die Menschen schützt, bei denen die Gefahr am größten ist, wegen einer Covid-Erkrankung in stationäre Behandlung zu müssen. Anders gesagt: Die Freiheit erlangen wir nur kollektiv zurück, nicht individuell.
Wie dem auch sei: Die Impfstrategie jetzt anzupassen, das wird ein heikles Unterfangen. Was macht man mit den Über-55-Jährigen? Wem gibt man in den jüngeren Altersgruppen gegebenenfalls Vorrang? Und warum? "Diese Fragen beantwortet man nicht mal eben so", betont Vandenbroucke.
Aber: "Ein bisschen Zeit dürfen wir uns geben", sagt der föderale Gesundheitsminister. Die Impfkampagne für Über-65-Jährige sollte ja erst in einigen Wochen beginnen. Und es sei nun auch nicht so, als wisse man nicht, wohin mit dem Impfstoff. Im Moment laufe die Impfkampagne in den Wohn- und Pflegezentren und auch in den Krankenhäusern auf Hochtouren.
Um auf mögliche weitere Engpässe bei den Impfstofflieferungen vorbereitet zu sein, habe Belgien übrigens weitere 3,8 Millionen Dosen des Impfstoffes von Moderna bestellt. Die würden zwar erst im Juni geliefert, aber man wolle da eben nichts dem Zufall überlassen.
Roger Pint