Junge Menschen zwischen 16 und 24 Jahren sollen bei Lockerungen der Corona-Schutzmaßregeln Vorrang bekommen. Und nicht nur das: Sie sollen auch Vorrang bei den Impfungen bekommen. Das sind die zentralen Forderungen des offenen Briefs, der unter anderem in den Zeitungen De Morgen und Het Laatste Nieuws veröffentlicht worden ist, unterzeichnet unter anderem von der Geschäftsführerin von Child Focus, Heide De Pauw, dem bekannten Kinderpsychiater Peter Adriaenssens, aber auch etwa von Föderalprokurator Frederic Van Leeuw. Und knapp 40 anderen mehr oder minder bekannten Flamen.
Das sind Forderungen, die mit Sicherheit für Aufsehen und vermutlich auch für kontroverse Diskussionen sorgen werden. Denn zurück zu einem zumindest normaleren (wenn schon nicht normalen) Leben wollen wir alle, und zwar möglichst schnell. Und der Weg dorthin führt bekanntermaßen über eine Impfung gegen das Coronavirus. Leider sind Impfstoffdosen - das ist gerade in den vergangenen Wochen schmerzhaft in Erinnerung gerufen worden - nur sehr begrenzt verfügbar. Deswegen kann sich eben nicht jeder sofort impfen lassen.
Während es im Großen und Ganzen einen gesellschaftlichen Konsens gibt, besonders gefährdete Menschen wie Senioren, chronisch Kranke und auch das Pflege- und Gesundheitspersonal vorrangig zu impfen, sieht das für andere Bevölkerungsgruppen ganz anders aus. Schon die Frage, ob und falls ja welche sogenannten essenziellen Berufe danach prioritär an die Reihe kommen sollten, hat sich schnell als sehr heißes Eisen herausgestellt. Und die Forderung, vorrangig junge Menschen zu impfen, dürfte noch umstrittener sein. Auch weil sie bei einer Ansteckung ein nach aktuellem Wissensstand wohl geringeres Risiko haben, schwer zu erkranken.
Die Unterzeichner des offenen Briefs erklären sich aber trotzdem bereit, "ihren" Platz auf der Impf-Warteliste eben an jüngere Menschen abzutreten, mit der Begründung, dass sie, die Unterzeichner, bereits das Leben hätten genießen und viele Erfahrungen hätten sammeln können - im Gegensatz zu jüngeren Menschen. Und diese formende und prägende Zeit in der Entwicklung eines Menschen drohe unwiederbringlich verloren zu gehen.
Dieses Abtreten des Impf-Platzes ist natürlich eine vorrangig symbolische Handlung, die zum Nachdenken beziehungsweise zum Überdenken der bisherigen Corona-Politik anregen soll. Und dazu, den Wert und die Bedeutung junger Menschen für die Gesellschaft anzuerkennen. Neben dem mentalen Wohlbefinden der jungen Menschen gehe es auch um ganz handfeste Folgen der Gesundheitskrise, beispielsweise um Menschen, die ihr Studium hinwerfen, weil sie es mangels Studentenjobs nicht mehr bezahlen können. Oder junge Menschen, die keine festen Arbeitsverträge mehr bekämen und seit Monaten technisch arbeitslos zu Hause säßen.
Auch was Lockerungen der Corona-Einschränkungen angehe, könne viel mehr getan werden, sind die Briefschreiber überzeugt. Wie etwa eine Wiederöffnung der Hörsäle oder die Erlaubnis, nach einem Corona-Schnelltest kleinere Veranstaltungen besuchen zu dürfen. Oder Alltagstätigkeiten wie das Abhängen beim gemeinsamen Sport. All das werde letztlich auch wieder der Gesellschaft zugutekommen. Denn für den Wiederaufschwung nach der Pandemie seien die jungen Menschen unverzichtbar. Deswegen müsse man ihnen nicht nur die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln, sondern ihnen eben auch durch mehr Perspektiven eine Rettungsboje geben, um weiter durchzuhalten.
Denn eines sollte man auch nicht vergessen: Wenn Jüngere ein geringeres Risiko laufen, ernsthaft selbst zu erkranken, dann bedeutet das im Umkehrschluss: Sie haben auch ein eher kleines Eigeninteresse, sich an die Regeln zu halten. Wenn sie das tun, dann also aus gesellschaftlicher Solidarität.
Allein stehen die Briefunterzeichner mit ihrer Sorge um die Auswirkungen der Krise auf die Jugend natürlich nicht. Die außerschulischen Aktivitäten sind für Jugendliche bis 18 Jahre bereits neu geregelt worden. Außerdem hat die Ministerin für das Hochschulwesen der Französischen Gemeinschaft, Valérie Glatigny (MR), angekündigt, dass für Studenten eine spezielle Sechser-Kontaktblase in Planung sei, um etwas gegen die Isolation und psychische Belastung der Studenten auf dem Campus zu unternehmen. Diesbezüglich sei sie auch in Kontakt mit den Kollegen aus der Deutschsprachigen Gemeinschaft und Flandern.
Auch die wissenschaftliche Expertengruppe GEMS, die die Regierung über die Reihenfolge möglicher Lockerungen berät, hat in ihrem jüngsten Bericht die besonders schweren Auswirkungen des Lockdowns auf die Jugend betont und sie deshalb nach den Kontaktberufen ganz oben auf die Prioritätenliste geschoben.
Reaktionen
Inzwischen haben mehrere Experten auf den Vorschlag reagiert. Viele werten ihn als positives Signal. Virologe Marc Van Ranst sagte, es sei an Politik und Zivilgesellschaft, zu entscheiden, ob junge Menschen Vorrang bei den Impfungen bekommen. Van Ranst selbst fände diese Entscheidung vertretbar, damit könnten ein paar Maßnahmen gelockert werden. Es sei zwar dann auch noch nicht alles möglich, Präsenzunterricht an Hochschulen und Universitäten wäre aber zum Beispiel weniger risikoreich.
Biostatistiker Geert Molenberghs fände es ein positives Signal. Als Wissenschaftler habe er aber auch Bedenken. Einige der Impfstoffe, die derzeit auf den Markt kommen, hätten Eigenschaften, die noch nicht ausführlich erforscht seien. Das Wichtigste sei es, die zu schützen, die von Covid am stärksten betroffen seien und wo die Sterblichkeit am höchsten sei. Es sei auch noch nicht deutlich, wie sehr ein Impfstoff die Ansteckung verhindere. Das müsse aber zuerst klar sein, bevor eine optimale Impfstrategie ausgearbeitet werden könne. (vrt/vk)
Boris Schmidt
Ich finde diese Idee super junge Menschen vorrangig zu impfen damit sie endlich wieder ihr Leben genießen können.
Eine vernünftige Lösung!
Aber man müsste dann mit den "Zahlern der Zeche" solidarisch sein.
Da wird kaum einer mitziehen. Sind ja nur Kids...
Ich kann mir das sehr gut vorstellen! Ich würde zwar auch gerne lieber heute als morgen geimpft werden, aber mir ist natürlich klar dass die Jugendlichen viel grössere Einschränkungen haben bzw. ihr Leben sehr viel mehr auf den Kopf gestellt wird. Vor allem wenn rauskommt dass die Impfungen auch vor Ansteckungen schützen sollte man in diese Richtung denken.
Indonesien will jüngere Menschen zuerst impfen.
Zunächst einmal sollte meines Erachtens die Frage geklärt werden, ob Geimpfte nach wie vor ansteckend sind.
Leider gibt es dazu nach meinem Kenntnisstand noch keine aussagekräftigen Studien.
Wenn nach einer Impfung kein Ansteckungsrisiko mehr besteht oder jenes nur sehr gering ist, könnte man überlegen, ob es sinnvoll wäre, Jugendliche und junge Erwachsene bevorzugt zu impfen.
Sollten Impfungen jedoch ausschließlich Krankheitsverläufe abmildern, während die betreffenden Personen weiterhin infektiös bleiben, wäre es sinnvoller, so wie bisher in erster Linie Risikogruppen zu impfen, weil alle Maßnahmen im Kern darauf abzielen, eine Überlastung der Krankenhäuser zu vermeiden und bei Jüngeren eher mir milden Krankheitsverläufen zu rechnen ist.
Sofern auch nach einer Impfung ein Risiko der Virusübertragung besteht, würde daraus für Jüngere kein Zuwachs an Entfaltungsmöglichkeiten resultieren. Letzter kann in einem solchen Fall nur dann erzielt werden, wenn diejenigen durch Impfungen besser geschützt werden, bei denen das Risiko eines Krankenhausaufenthalts infolge einer Covid-Erkrankung besonders hoch ist.
Statistisch gesehen erkranken und sterben die jungen Menschen am allerwenigsten: nur 0,5% der Toten sind zwischen 25 und 44 Jahre alt, die Toten jünger als 25 werden statistisch fast gar nicht erfasst, weil es so wenige sind, die kann man sich an einer Hand abzählen.
Ähnlich sieht es auch in der Sciensano-Statistik für Hospitalisation aus: bei den wöchentlichen Altersgruppenanteilen ("Weekly Age Groups Proportions") erscheinen die bis 20-Jährigen mit Anteil von nur ca.2%, sind also die absolute Ausnahme. Ebenso ist bekannt, dass junge Menschen an ehesten eine natürliche Immunität aufbauen im Gegensatz zu anderen Altersgruppen.
NEIN, jüngere Menschen sollten keinen Vorrang beim Impfen haben. Man kann viel an der Corona-Politik herumkritisieren, aber die Impf-Strategie der EU, die Risiko-Gruppen zuerst zu impfen, ist hervorragend! Warum sollte man anders vorgehen? Es gibt keine logische medizinische Begründung.
Neben Antworten auf die Frage nach der Wirksamkeit des Impfens halte ich es für sinnvoll, erstmal die Menschen zu impfen, die in diesem Krisenzeiten den Laden am laufen halten.
Dazu gehören für mich zuerst mal Ärzte, Pfleger, Krankenschwestern und Betreuungspersonal, Polizei, Feuerwehren aber auch Einzelhandel, Lehrer, ÖPNV- Beschäftigte und dergleichen.
Die Frage, ob junge Leute den Alten vorgezogen werden sollen, rüttelt auch an Tabus. Da wird eine logisches Auseinandersetzen kaum möglich sein.
@Guido Scholzen&Peter Schallenberg: Ich kann Ihnen nur beipflichten, wobei ich ergänzen möchte: Wenn diejenigen durch Impfungen besser geschützt sind, bei denen das Risiko einer Hospitalisierung besonders hoch ist, dann ergibt sich daraus von selbst, dass Jüngere mehr Freiheiten erhalten.
Den wenigen Impfstoff ausgerechnet an diejenigen zu verimpfen, bei denen das Risiko schwerer Krankheitsverläufe am niedrigsten ist, ist meiner Meinung nach widersinnig; erst recht, solange nicht geklärt ist, ob und inwieweit Geimpfte nach wie vor infektiös sind (nach den drei Eingangsbeiträgen wollte ich das nicht so drastisch formulieren).
Unabhängig davon ist es jedoch wichtig, die Herausforderungen der derzeitigen Krise für junge Menschen nicht aus den Augen zu verlieren.
Nach bisherigen Erkenntnissen sind Geimpfte nach wie vor potentielle Krankheitsüberträger.Sollte man junge Leute Impfen, so müssten diese nach wie vor alle Sicherheitsmaßnahmen einhalten. Das darf aber bezweifelt werden. Somit ist diese Strategie unsinnig. Wir sollten uns an den Ausbruch zur zweiten Welle erinnern, die zum Teil durch Studentenfeten bei Wiedereröffnung der Hochschulen beschleunigt wurde.
Es kommt immer auf den Wirkstoff an der geimpft wird, da gibt es große Unterschiede.
Die Wirksamkeit von Sinovacs CoronaVac schwankt erheblich und liegt zwischen 50 und 91 Prozent. Detaillierte Ergebnisse aus den Phase-III-Studien gibt es bisher öffentlich nicht.
In den Ländern Brasilien, Chile, China, Indonesien und die Türkei werden Menschen schon damit geimpft
Wer möchte damit geimpft werden, ich nicht..
Das ist wirklich eine bemerkenswerte Forderung. Wenn man diese hinterfragt zeigt sich schnell, dass "sie sollen endlich wieder das Leben genießen können" kein Argument in einer Pandemie sein kann. Höhere Altersgruppen und Risikopatienten sind vom Tod bedroht wenn sie erkranken. Ältere Berufstätige können auch nur noch mit Maske arbeiten. Selbst als Angestellte im medizinischen Bereich werden erst viel später geimpft werden.
Letztendlich besteht die Gefahr, dass durch den noch herrschenden Mangel an Impfstoff ein Konkurrenzdenjen zwischen den Generationen aufkommt. Man kann alles infrage stellen, aber alte/behinderte/vorerkrankte Menschen noch weiter zu isolieren fände ich prekär. So sehr mir auch Jugendliche leidtun, aber die treffen sich ja sowieso untereinander privat.
Man sollte mal darüber meditieren, wie es um unsere Gesellschaft bestellt wäre, wenn Corona sich “andersrum” verhalten würde, also die Senioren weitgehend verschonen, hingegen Kinder und Jugendliche heimsuchen und dezimieren würde.
Oder anders gesagt: die Omas und Opas würden ihren Lebensabend mit Halli-Galli genießen wollen, evt. auch als Super-Spreader, die Kids müssten sich bei jeder Begegnung mit einem älteren Menschen Sorgen machen.
Gäbe es dann einen vergleichbaren offenen Brief, vorrangig die Senioren zu impfen, damit diese “ihr Leben genießen “ können, wäre wohl der letzte Anflug von Solidarität in dieser Gesellschaft endgültig verloren.
Das ist wirklich eine sehr fragwürdige Forderung. Es ist doch laut Wissenschaftler so, umso schneller die Risikogruppen geimpft werden, weil es bei Ihnen um Leben und Tod geht und die Krankenhäuser nicht überfordert sind, umso schneller werden die jungen Leute doch wieder ihre Freiheiten geniessen können.
Gibt es diesen offenen Brief eigentlich irgendwo zu lesen?
Inhaltlich wurde ja jetzt vielfach darauf eingegangen. Nun frage ich mich, auf welcher Basis die Schreiber des Briefes argumentieren. Denn sollten Jugendliche geimpft sein und trotzdem noch spreaden können dann müssten entweder die Jugendlichen weiterhin die Maßnahmen befolgen oder Menschen über 40 oder 50 dauerhaft weggesperrt werden. Dann haben vielleicht Jugendliche ihren Spaß, aber wer soll die ohnehin schon angeschlagene Wirtschaft am Laufen halten?