Der 5. Januar sollte eigentlich in Erinnerung bleiben als der Anfang vom Ende. Es ist der echte Startschuss für die Corona-Impfkampagne, die uns auf Dauer die Rückkehr zur Normalität ermöglichen soll.
Ab jetzt kann geimpft werden. Pro Woche werden ab jetzt 87.000 Chargen des Impfstoffes von Biontech-Pfizer nach Belgien geliefert. Mit der Zeit könnten es mehr werden. Außerdem sind ja noch weitere Präparate in der Pipeline. Noch in dieser Woche wird wohl der Impfstoff des US-Unternehmens Moderna in der EU eine bedingte Marktzulassung bekommen. Und auch die Produkte von AstraZeneca und Johnson&Johnson werden schon begutachtet.
Mangel größer als gedacht
Im Frühjahr dürfte also schon eine etwas größere Auswahl zur Verfügung stehen. Doch im Moment herrscht ein ganz akuter Mangel. Und der ist größer als ursprünglich gedacht. Eigentlich war geplant, dass auch gleich zum Auftakt schon das medizinische Personal geimpft werden sollte. Entweder parallel mit den Bewohnern der Alten- und Pflegeheime, oder dann ganz schnell danach. Nur liefert Pfizer-Biontech nicht so viele Dosen, wie ursprünglich angekündigt. Und deswegen wird der Mangel zum Problem.
Zumindest in den Augen eben des medizinischen Personals. Eine Gruppe von Ärzten hat sich in einem offenen Brief an den föderalen Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke gewandt. Darin plädieren die Mediziner dafür, die Impfstrategie nochmal zu überdenken, eben im Lichte der neuen Situation. Einer der Initiatoren ist Elie Cogan, der Vize-Decan des Brüsseler Erasmus-Krankenhauses. Und der war am Morgen in der RTBF sehr deutlich: Der hohe Gesundheitsrat habe von Anfang an empfohlen, zuallererst das medizinische Personal zu impfen, um sie zu schützen und damit auch das Gesundheitssystem. Nur so könne man einen akuten Personalmangel im Gesundheitswesen verhindern.
Mediziner für Änderung der Impfstrategie
Stefaan Vandecasteele, Corona-Koordinator im Sint-Jan-Krankenhaus in Brügge, ging in der VRT noch einen Schritt weiter. Nicht nur, dass das Klinikpersonal am Ende ist und man sich zudem auf eine mögliche dritte Welle einstellen muss, man müsse auch noch einer anderen, unbequemen Realität ins Auge sehen: Man weiß, dass es oft Personalmitglieder sind, die das Virus in Alten- und Pflegeheimen und auch in Krankenhäusern verbreiten. Sie sind nicht nur nötig, um die Menschen zu versorgen, sie sind manchmal auch der Motor der Epidemie, indem sie das Virus ausgerechnet zu schwachen Patienten tragen.
Deswegen eben das Plädoyer der Mediziner, doch bitte dem Gesundheitspersonal Priorität zu geben. Stefaan Vandecasteele drückte es so aus: Seine Forderung richte sich nicht gegen die Bewohner der Alten- und Pflegeheime. Natürlich müssten die so schnell wie möglich geimpft werden. Es sei nur leider so, dass der Mangel an Impfstoff uns dazu zwinge, schwierige Entscheidungen zu treffen.
Mehr Tempo
Neben diesem Plädoyer für eine Änderung der Impfstrategie hört und liest man aber auch regelrechte Fundamentalkritik. In Belgien laufe die Impfkampagne zu langsam an, wetterten am Dienstag auch mehrere Leitartikel. Tatsächlich wird paradoxerweise jetzt in diesen ersten Tagen sogar weniger Impfstoff verabreicht als eigentlich zur Verfügung stehen würde. Besonders langsam geht man anscheinend in Flandern an die Sache heran; hier wird nur halb soviel geimpft wie in der Wallonie, die ja deutlich weniger Einwohner zählt. "Man befinde sich noch in der Testphase", hieß es zur Begründung.
Jeder Tag, jede Woche, jeder Monat, den wir verlieren, ist einer zu viel, wetterte Philippe Devos, Arzt am CHC in Lüttich und Vorsitzender der Ärztegewerkschaft Absym in der RTBF. Und, nicht vergessen: Jede Verzögerung schlägt sich auch auf die Wirtschaft nieder. Es sei ein politischer Fehler, hier nicht mehr Tempo vorzulegen.
Besagter politischer Fehler liege auch darin, dass es immer noch keine wirklich konkreten Pläne gebe was die praktische Umsetzung der Impfkampagne angeht, kritisiert die Zeitung Het Laatste Nieuws. Wo werden die Impfstraßen eingerichtet? In Sporthallen, in Schulen? Klar: Noch sind Impfzentren nicht nötig. Nur müssen hierzulande Drehbücher erst noch geschrieben werden. Während in Deutschland die Impfzentren schon stehen. Leider, so das Fazit von Het Laatste Nieuws, gilt immer noch die Parole, die einst der frühere Premier Jean-Luc Dehaene ausgegeben hatte: "Man muss die Probleme lösen, wenn sie sich stellen". Im vorliegenden Fall wäre das zu spät.
Roger Pint