Coronavirus-Varianten beziehungsweise -Mutationen haben in letzter Zeit schon für viel Unruhe bei Experten, Politikern und in der Bevölkerung gesorgt. Bekanntestes Beispiel ist die sogenannte "britische" Variante, die ansteckender als die bisher in Europa angetroffenen Versionen des Virus ist und insbesondere auch jüngere Menschen betrifft.
Aber sie ist bei weitem nicht die einzige und womöglich auch nicht die gefährlichste. Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock etwa hat eine südafrikanische Mutation als noch größeres Risiko bezeichnet. Manche Wissenschaftler befürchten sogar, dass diese Variante resistent gegen die jetzt entwickelten Corona-Impfstoffe sein könnte. In diesem Kontext verwundert es also nicht, dass Meldungen über mögliche ansteckendere Varianten in Flandern schnell alle Alarmglocken läuten ließen.
Konkret geht es um Corona-Ausbrüche in Krankenhäusern, Wohnzentren und auch innerhalb von Familien in den Gemeinden Wuustwezel, Duffel und Lier in der Provinz Antwerpen. Diese sorgten lokal für einen Anstieg der wöchentlichen Infektionen um bis zu 60 Prozent. Damit weichen die betroffenen Gemeinden vom landesweiten Trend der weiterhin sinkenden Corona-Zahlen ab.
Die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden stellten in der VRT die Hypothese in den Raum, dass eine neue, ansteckendere Variante diese Ausbrüche verursacht haben könnte. Die Infizierten in Wuustwezel etwa hätten Weihnachten nicht anders gefeiert als anderswo und hätten auch die Grenze nicht öfter als sonst überschritten, so Bürgermeister Dieter Wouters. Und bei den Ansteckungen im familiären Kontext gebe es auch keine Verbindungen zwischen den einzelnen Herden. Man habe keine andere Erklärung für die Vorgänge. Eine eventuelle neue Variante des Virus könne also eine Erklärung sein, so Wouters.
Ausführlichere Untersuchungen notwendig
In Proben der vergangenen Tage aus der Region ist eine Mutation mit der Bezeichnung D614G gefunden worden. Damit ist zumindest eines klar: Es handelt sich nicht um die gefürchtete "britische" Mutation, die den Namen B117 trägt. Der Mikrobiologe Herman Goossens wird am Montag unter anderem in Gazet van Antwerpen und De Standaard damit zitiert, dass in einem jüngst in der Wissenschaftszeitschrift "Science" veröffentlichten Artikel diese Variante D614G als ansteckender beschrieben worden sei.
Goossens betont allerdings, dass die entsprechenden Experimente unter Laborbedingungen an Hamstern durchgeführt wurden. Deswegen hält er es für viel zu früh, um Schlussfolgerungen zu ziehen. Man könne die Möglichkeit einer ansteckenderen Mutation zwar nicht generell ausschließen, die Aussagen der Bürgermeister seien für ihn aber reine Hypothesen. Ausführlichere Untersuchungen seien in jedem Fall notwendig.
Manche haben die Aussagen Goossens aber offensichtlich so verstanden, dass in den Proben aus Flandern eine neue, ansteckendere Variante des Virus gefunden worden sei. Schnell machte der Begriff "Antwerpener Variante" die Runde. Das ist allerdings ein klares Missverständnis. Der bekannte Virologe Steven Van Gucht teilte mit, dass er schier vom Stuhl gefallen sei, als er die Berichterstattung über D614G in den Nachrichten gesehen habe.
Variante D614G nicht neu
Zunächst muss man sich vor Augen halten, dass Mutationen bei Viren häufig auftreten. Allein beim neuartigen Coronavirus sind bislang über 300.000 Varianten bekannt. Und die in der Provinz Antwerpen gefundene Variante D614G ist alles, aber sicher nicht neu. Dass man diese Mutation bei den Proben aus Antwerpen gefunden habe, überrasche ihn überhaupt nicht, so Van Gucht in der VRT. Diese Mutation sei nämlich im für gewöhnlich vorkommenden Virus vorhanden.
Die genetische Variante sei Anfang 2020 in China entstanden und habe sich dann ab März in Europa ausgebreitet. Und das bedeute, dass die meisten aktuell in Europa zirkulierenden Covid-Viren diese Mutation aufwiesen, erklärte Van Gucht. Es sei also vollkommen normal, D614G in den Proben zu finden. Jeder, der sich jetzt anstecke, habe eine große Chance, diese Variante zu bekommen. Deswegen könne man daraus auch keine Schlussfolgerungen ziehen. Dazu seien weitere Untersuchungen notwendig.
Auch der Virologe Marc Van Ranst mahnte zur Ruhe: Die Virusstämme seien die gleichen, die man seit März im ganzen Land als die dominantesten (also "am häufigsten vorkommend") finde, so Van Ranst in der VRT. Es gebe keinen Grund, darüber jetzt besonders beunruhigt zu sein. Fazit also: Zumindest nach aktuellem Kenntnisstand ist in den Kempen keine neue, ansteckendere Virusvariante bestätigt worden.
Boris Schmidt