Die Geschichte vom "T" ist schnell erzählt. Es steht für einen Jungen, dessen Vorname mit einem T beginnt. Ihn hat Conner Rousseau angeblich auf einem Jugendlager für benachteiligte Kinder kennen gelernt. Ein Junge, der aus sehr ärmlichen Verhältnissen stammt. Ihm und anderen Kindern, die unter Armut, Chancenungerechtigkeit und Diskriminierung leiden, widmet Conner Rousseau das Buch, das Mittwoch in den Handel kommt.
Offenbar ist es vor allem der Inhalt, der für Aufsehen sorgt. Einige Journalisten haben schon vorab einen Blick in das Buch werfen können. Da hat der ein oder andere gestaunt. Nicht unbedingt, weil Rousseau eine Debatte über Kinderarmut und Kindesvernachlässigung starten möchte, sondern wegen eines Vorschlags aus dem Buch. Da heißt es: "Manche sollten eine Zeit lang keine Kinder machen". Seine Meinung rechtfertigt er damit, dass es ein ethisches Dilemma gebe. Er schreibt: "Es ist nicht zu erklären, dass wir Kindesmissbrauch und Vernachlässigung hart bestrafen, aber nichts tun, um Kindesmissbrauch und Vernachlässigung zu verhindern".
Am Wochenende hat er die Idee auch im Radio bei der VRT rechtfertigt. Er sagt: "Richter nehmen zum Beispiel bereits Kinder von ihren Eltern weg. In der Zeit, in der sie ihre eigenen Kinder nicht erziehen können, sollten sie auch keine neuen Kinder bekommen dürfen." Er legt aber Wert auf das Wort "vorübergehend". Er möchte keinen dauerhaften Verlust der elterlichen Rechte. Er stellt aber klar in Frage, ob es ein absolutes Recht auf Kinder gibt.
Andere Tabubrüche
Rousseau stellt auch das Kindergeld in Frage. Er fragt sich, ob es nicht besser wäre, das Geld, das wir jetzt den Familien geben, in direkte Dienstleistungen zu investieren. Sprich: kostenlose Kinderbetreuung, kostenlose Bildung bis zur weiterführenden Schule und kostenloses gesundes Essen in den Kindertagesstätten. Er sieht aber auch Vorteile im kanadischen Modell, wo Familien, die mehr brauchen, auch mehr Kindergeld erhalten. "Oder warum nicht die beiden Vorschläge kombinieren?", fragt er.
Konkreter ist aber sein Wunsch nach kostenloser Kinderbetreuung. Da schlägt er sogar vor, die zur Pflicht zu machen. Es helfe zum Beispiel, dass Kinder von Migranten schon sehr früh mit der amtlichen Sprache in Kontakt kommen, und das zahle sich für ihre Entwicklung und damit ihre Chancen in unserer Gesellschaft aus.
Ablehnung von Links und Applaus von Rechts
Die flämische Groen-Abgeordnete Celia Groothedde reagierte scharf und twitterte unter anderem, dass es so etwas wie ein Recht auf Elternschaft gar nicht gebe, wohl aber ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Sie hält den Vorschlag, die Elternschaft in Frage zu stellen, für nicht umsetzbar. Es sei "diskriminierend, stigmatisierend und gefährde die Grundrechte".
Aber es gibt auch Unterstützung, zum Beispiel von der N-VA-Abgeordneten Valerie Van Peel. Sie twitterte: "Ihr wisst, dass ihr hier einen Partner in mir habt. Hoffentlich sind wir bereit, in einer solchen Diskussion über die Grenzen von Mehrheit und Opposition hinauszuschauen."
Der Armutsexperte Wim Van Lancker von der KU Leuven sagt: "Die Kinderarmut ist zumindest in Flandern bei allen Indikatoren gestiegen, ein neuer Blick ist also nicht falsch." Es sei eine gute Idee, zu prüfen, wie man kostenloses gesundes Schulessen in der Schule finanzieren kann, aber "das sollte nicht auf Kosten des Kindergeldes gehen", fügte er hinzu. Kindergeld sorge für "Stabilität und die Möglichkeit, Rechnungen zu bezahlen", und das komme auch den Kindern zugute. Also: Ein voller Magen löse nicht das zugrundeliegende Problem.
Eine Neuausrichtung wie in Kanada sei eine gute Idee. Kanada habe viel investiert, gibt Kindergeld an alle, gibt aber mehr an die ärmsten Familien. Es hatte einen positiven Effekt auf die Kinderarmut. In Flandern oder in der Deutschsprachigen Gemeinschaft bekommt jedes Kind den gleichen Betrag.
Van Lancker hat vor allem Probleme damit, Kinderbetreuung zur Pflicht zu machen. Eine gute Kinderbetreuung erhöhe zwar die Chancen eines Kindes. Aber das größte Problem ist heute der Platzmangel. Da müsste die Politik dieses Problem zuerst in Angriff nehmen. Eine Betreuerin oder Betreuer müsse sich hier schon jetzt um mehr Kinder kümmern als in den skandinavischen Ländern. Eine überforderte Betreuung ist dann wieder schlecht für die Kinder.
Dann gibt es noch die Elternteile, die nicht nur gerne Hausfrau oder Hausmann sind, sondern auch bereit sind, für ihre Kinder auf einen höheren Lebensstandart zu verzichten.
Manuel Zimmermann