Die Sitzungen der Ratskammer finden unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen in Brüssel-Haren im ehemaligen Nato-Hauptquartier statt. Es war mit viel Aufwand umgebaut worden, um große Prozesse unter den entsprechenden sicheren Bedingungen stattfinden lassen zu können. Der Justizpalast im Zentrum Brüssels war aufgrund der örtlichen Gegebenheiten als nicht geeignet für derartige Gerichtsprozesse erachtet worden.
Eingeweiht wird der neue, auf den Namen "Justitia" getaufte Komplex am Rand der Hauptstadt nun mit dieser wichtigen Voretappe für den eigentlichen Prozess um die Anschläge, der wohl nicht vor 2022 beginnen wird. Zahlreiche lokale und auch föderale Polizeibeamte sicherten die Örtlichkeiten, Fahrzeuge wurden mit Spürhunden durchsucht, außerdem gab es verschiedene Checkpoints, die die Beteiligten passieren mussten. Getränke und Nahrungsmittel waren ebenfalls aus Sicherheitsgründen untersagt.
Bei den nicht-öffentlichen Sitzungen der Ratskammer kamen am Montag zunächst die Untersuchungsrichter zu Wort. Neben ihrem Bericht über die gesamte gerichtliche Untersuchung der Attentate legten sie auch aus, gegen welche der Beschuldigten Hinweise auf welche Verbrechen bestehen. Nach den Untersuchungsrichtern wurde den Opfern der Anschläge die Möglichkeit gegeben, sich als Nebenkläger für den Prozess zu präsentieren. Das geschah teilweise durch Anwälte, teilweise vertraten sich die Opfer aber auch selbst.
Opferberichte
Sie habe die beiden Explosionen in Zaventem erlebt, erklärte die Überlebende Sylvie Ingels im Interview mit RTBF und VRT. Sie habe dem Tod ins Angesicht geblickt, bald fünf Jahre sei das her. Fünf Jahre, die man darauf warte, dass es endlich vorwärts ginge und dass es Ergebnisse gebe.
Harte Worte gab es von manchen Opfern auch für den belgischen Staat. Von Loubna Selassi etwa, die ihren Mann vertritt, der ebenfalls am Flughafen war. Fünf Jahre müssten die Opfer jetzt schon für ihre Rechte kämpfen, klagte Selassi. Sie hoffe, dass Belgien jetzt seine Verantwortung übernehmen und den bislang alleingelassenen Opfern im Kampf mit den Versicherungen beistehen werde.
Andere Anwälte und Opfer gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass der Prozess dabei helfen werde, die schrecklichen Ereignisse aufzuarbeiten, um sie irgendwann bewältigen zu können. Für seinen Klienten sei das Wichtigste, dass dann eine Seite umgeblättert werden könne, erklärte etwa der Anwalt des Basketballspielers Sebastien Bellin, der in Zaventem schwer verletzt worden war und dessen Fotos um die Welt gegangen waren.
Am Dienstag setzt die Ratskammer ihre Arbeit fort. Dabei werden zunächst die verbleibenden Opferanwälte zu Wort kommen. Anschließend wird dann die föderale Staatsanwaltschaft erklären, welche der Beschuldigten sie vor welchem Gericht zur Verantwortung gezogen sehen will. Gegen 16 Beschuldigte war ermittelt worden.
Wobei es sich bei drei von ihnen um bereits tote Selbstmordattentäter handelt, gegen die also keine weiteren Strafverfolgungsschritte möglich sind - Najim Laachraoui und Brahim El Bakraoui hatten sich am Flughafen in die Luft gesprengt, Khalid El Bakraoui, Bruder von Brahim, in der Metro.
Geschworenenjury und Strafgericht
Für acht weitere Beschuldigte fordert die föderale Staatsanwaltschaft einen Prozess vor einem Assisengericht, also vor einer Jury, wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Mordes und versuchten Mordes in einem terroristischen Rahmen. Zu diesen acht gehören Salah Abdeslam, der mutmaßliche Attentäter von Paris, und Oussama Atar, die verdächtigt werden, die Brüsseler Anschläge geplant zu haben. Atar soll aber angeblich bereits im November 2017 in Syrien bei einem Luftangriff der Anti-IS-Koalition getötet worden sein.
Dazu gehören außerdem Mohamed Abrini alias "Mann mit Hut", der eine Tasche voller Sprengstoff in der Abflughalle in Zaventem zurückgelassen und geflüchtet sein soll, Sofien Ayari, ein Komplize von Salah Abdeslam, Osama Krayem, der sich auch in der Brüsseler Metro in die Luft sprengen wollte sowie Ali El Haddad Asufi, Bilal El Makhouki und Hervé Bayingana Muhirwa wegen Unterstützung und Hilfe für die Selbstmordattentäter.
Zwei weitere Beschuldigte, die Brüder Smail und Ibrahim Farisi, sollen sich vor dem Strafgericht verantworten müssen, weil sie den Attentätern Unterschlupf gewährt und Spuren beseitigt haben sollen. Gegen drei weitere ursprünglich Beschuldigte wird die Staatsanwaltschaft hingegen eine Verfahrenseinstellung beantragen, weil es keine ausreichenden Hinweise für eine Beteiligung an den Taten gebe.
Erst danach kommen dann die Verteidiger der 13 Beschuldigten zu Wort. Der Anwalt von Mohamed Abrini hat bereits angekündigt, die Rechtmäßigkeit verschiedener Verhöre seines Mandanten anzufechten. Konkret soll es dabei um die ersten Verhöre nach Abrinis Festnahme gehen, die die Ermittler als Basis für einen beträchtlichen Teil ihrer Untersuchungsarbeit genutzt haben.
Boris Schmidt