Das Problem ist bekannt: Egal, welcher Impfstoff von welcher Firma es letztlich werden wird - zunächst wird es nicht genügend Impfstoffdosen geben, um alle Menschen sofort gegen das Coronavirus impfen zu können. Aus produktionstechnischen und auch logistischen Gründen muss die Impfung auch in Belgien in Phasen erfolgen. Das stellte auch der föderale Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke in der RTBF noch einmal klar.
Man werde die Menschen in Gruppen aufteilen müssen. Einfach weil der Impfstoff in verschiedenen Chargen eintreffen werde. Und die Entscheidung, nach welchen Kriterien das geschehen solle, sei alles andere als offensichtlich.
Und das bedeutet zwangsläufig, dass eine Wahl getroffen werden muss. Und das kann sich zu einer durchaus komplizierten und auch kontroversen Frage entwickeln. Schließlich gibt es prinzipiell sehr verschiedene Herangehensweisen. Will man beispielsweise zunächst die besonders gefährdeten Menschen immunisieren? Und so hoffentlich möglichst viele weitere Todesopfer oder Langzeitgeschädigte vermeiden? Oder sollte es wichtiger sein, möglichst schnell zu einem so normalen Leben wie möglich zurückzukehren? Das könnte bedeuten, der Wirtschaft, dem Unterricht und auch dem gesellschaftlichen Leben Vorrang zu geben.
Vandenbroucke selbst befürwortet, dass als erste die Menschen im Gesundheits- beziehungsweise Pflegesektor drankommen. Eine logisch nachvollziehbare Ansage, sind es doch diese Menschen, ohne die das ganze System schnell zusammenbrechen würde. Aber wer sollte danach der nächste sein?
Diese Frage wird eine Taskforce beschäftigen, die auch die weiteren operationellen Details der belgischen Impfkampagne ausarbeiten soll. Was dabei herauskommen wird, wird man abwarten müssen.
Studie
Zwischenzeitlich haben Wissenschaftler der Université Catholique Louvain, der KU Leuven und der Universität Maastricht aber schon einmal die Menschen im Land selbst befragt. Dazu wurden etwa 2.000 Männer und Frauen aus dem ganzen Land im Alter zwischen 18 und 80 Jahren gebeten, zu entscheiden, wer beim Impfen Priorität genießen sollte. Dazu mussten sie einmal acht vorgeschlagene Strategien von ihrer Meinung nach "am besten" nach "am schlechtesten" einordnen und anschließend Beispielpersonen gegeneinander abwägen - fiktive Fallbeispiele also mit jeweils individuellen Merkmalen wie Alter, Gesundheitszustand, Beruf, Kosten für die Gesellschaft im Falle einer Erkrankung und Risiko, andere anzustecken.
Und laut der Studie gibt es in der Bevölkerung drei deutliche und in etwa gleich starke Präferenzen, nach welchen Strategien vorrangig geimpft werden sollten: Vorrang sollte demnach den chronisch Kranken, den Angehörigen essentieller Berufe und denjenigen gegeben werden, die potentiell am meisten andere Menschen anstecken könnten.
Was die individuellen Abwägungen angeht, lehnen viele eine Priorisierung mit zunehmendem Alter ab. Und das, obwohl mit dem Alter auch das Risiko steigt, besonders schwer an Covid-19 zu erkranken. Das ist eine Meinung, die auch die Befragten vertreten, die selbst zu den Älteren gehören. Auch eine allgemeine Priorisierung der arbeitenden Bevölkerung ohne Rücksicht ob sie in den essentiellen oder anderen Berufen tätig sind, wird mehrheitlich abgelehnt. Angehörige essentieller Berufe hingegen sollten prioritär geimpft werden.
Allerdings kristallisierten sich bei den individuellen Fallbeispielen bei anderen Charakteristika unter den Teilnehmern der Studie zwei Gruppen heraus: diejenigen, die eher Menschen mit Vorerkrankungen zuerst impfen würden, und diejenigen, für die der Faktor wichtiger ist, wie viele andere Menschen die Person anstecken könnte.
Außerdem befürworten die meisten Befragten als Impfstrategie für Belgien eine von den Führungsebenen klar definierte und vorgegebene Priorisierung. Kaum Unterstützung fand hingegen der Vorschlag, die Menschen zuerst zu impfen, die bereit seien, am meisten zu zahlen oder die sich zuerst meldeten. Genauso wenig wie eine Zufalls-Lotterie, in der also per Los entschieden würde, sprich alle Menschen genau die gleiche Chance hätten.
Und die Befragten sind sich auch sehr einig, wer eigentlich die Kriterien für die Impfreihenfolge festlegen soll: 78 Prozent von ihnen geben an, dass das den Experten und Wissenschaftlern überlassen werden sollte. Nur zehn Prozent der Studienteilnehmer wollen das den Behörden überlassen und auch nur zwölf Prozent der Bevölkerung selbst.
Für Jeroen Luyten, Gesundsheitsökonom an der KU Leuven und beteiligt an der Studie, zeigt das, dass die meisten Menschen in Belgien doch viel Vertrauen in die Wissenschaft hätten, um die Corona-Krise zu bewältigen. Und dieses Vertrauen erstrecke sich eben auch auf Fragen, die nicht nur wissenschaftlicher, sondern auch ethischer Natur seien, so Luyten bei Radio Eén.
Gesundheitsminister einig: Impfung wird kostenlos und freiwillig sein
Boris Schmidt