Die Nachricht mag für viele wie eine kalte Dusche gewirkt haben. Der Pharmakonzern AstraZeneca und die Universität Oxford teilten mit, dass bei einer der Personen, an denen ihr Impfstoffkandidat getestet wird, eine Entzündung im Rückenmark festgestellt wurde. Daraufhin wurden alle weiteren Versuche mit diesem Mittel auf Eis gelegt.
Davon sind 30.000 Testpersonen in vier Ländern betroffen. Die Entwicklung dieses Impfstoffs ist nämlich schon so weit fortgeschritten gewesen, dass er großflächig am Menschen getestet wird. Es ist die dritte, also die letzte und damit entscheidende klinische Phase. Jetzt wird der Impfstoff also vorerst nicht weiter verabreicht.
Was aber trotzdem weitergeht, ist die tägliche Begleitung und Untersuchung der Probanden, die das Mittel bereits bekommen haben. Der Hersteller AstraZeneca bezeichnet die Pause als Routinevorgang. Aber als Hersteller sind natürlich auch immer finanzielle Interessen im Spiel, vom Druck der Öffentlichkeit und auch der Politik ganz zu schweigen. Schließlich warten alle sehnlichst auf das "Wundermittel". Ist das also tatsächlich etwas, was nicht weiter ungewöhnlich ist? Oder sind ernstere Konsequenzen zu befürchten?
Zunächst einmal muss man festhalten, dass das Mittel von AstraZeneca nur eines von mehreren in der klinischen Phase ist. Selbst im allerschlimmsten Fall, sprich wenn sich herausstellen sollte, dass dieser Impfstoffkandidat zu ernste Nebenwirkungen hat, blieben also noch die anderen Kandidaten. Und zweitens, das bestätigen die Gesundheitsexperten auch in Belgien, ist der jetzige Stopp tatsächlich ein Routinevorgang, wie er bei solchen Tests zu erwarten ist.
Das betonte auch die Virologin Erika Vlieghe in Terzake. Und das sehen unter anderem auch der bekannte Impfstoffforscher Pierre Van Damme und der Virologe Johan Neyts so. Das Ganze ist, gerade bei Impfstoffen, auch kein Präzedenzfall, wie der Immunologe Michel Goldman in der RTBF erklärte.
Probleme wie jetzt bei AstraZeneca habe es in der Geschichte der Impfstoffentwicklung bereits gegeben. Zum Beispiel beim Kampf gegen die Schweinegrippe in den 1970er-Jahren. Potentielle Probleme tauchten bei jeder großen Studie auf, unterstrich auch Johan Neyts. Der Unterschied sei nur, dass jetzt eben die ganze Welt auf die Untersuchung schaue.
Um die Sicherheit jedes Arzneimittels gewährleisten zu können, muss abgeklärt werden, ob eventuell auftretende Probleme etwas mit der Testsubstanz zu tun haben oder die Beschwerden beispielsweise auf Vorerkrankungen oder andere externe Faktoren zurückzuführen sind.
Genau dazu dient die Pause durch die Aussetzung der Tests. Jetzt ist es an einer unabhängigen Expertengruppe, den Beschwerden der Testperson auf den Grund zu gehen. Auf der Basis ihrer Ergebnisse müssen dann die regulatorischen Behörden entscheiden, ob es weitergehen kann.
Das Vorgehen von AstraZeneca und der Universität Oxford illustriere lediglich, wie gewissenhaft hier wissenschaftlich korrekt gearbeitet werde, ist auch Yves Van Laethem vom Nationalen Krisenzentrum überzeugt.
Wie lange die Arbeit der unabhängigen Experten dauern wird, das kann man nicht vorhersagen. Unter anderem hängt das nämlich von notwendigen zusätzlichen Untersuchungen ab. Oft halte sich das aber zeitlich in Grenzen, wie Johan Neyts in der VRT sagte.
Für gewöhnlich könne man die Ursachen für die Probleme relativ schnell herausfinden. Und dann stünde einer schnellen Wiederaufnahme der Tests auch nichts im Weg, so Neyts. Pierre Van Damme ist da konkreter: Er glaubt nicht, dass die Studie für mehr als zwei Wochen unterbrochen werden muss.
Mittlerweile haben sich im Übrigen auch die anderen Firmen, die an Impfstoffkandidaten arbeiten, zu Wort gemeldet. Sie bitten darum, sich trotz aller Erwartungen und Hoffnungen in Geduld zu üben. Sprich den Forschern die Zeit zu geben, die sie eben benötigen, um einen funktionierenden und sicheren Impfstoff entwickeln zu können.
Eine Forderung für die auch der Virologe Johan Neyts vollstes Verständnis hat. Das sei nur logisch. Und es könne nur zum Vorteil der Bevölkerung sein, zeigte sich Neyts überzeugt. Man müsse die Impfstoffe genau kennen, damit man die Pandemie bekämpfen könne. Wie immer gelte: eine nur halb getane Arbeit sei keine gute Arbeit, so Neyts.
Boris Schmidt