Rund 14 Prozent niedriger lagen die Neuinfektionen in der Woche vom 8. bis zum 14. August im Vergleich zur Woche davor. Gleichzeitig stiegen aber die Krankenhausneuaufnahmen wegen Covid-19 um satte 24 Prozent. Und bei den Todesfällen ist sogar eine Verdoppelung zu beklagen, auch wenn die absoluten Zahlen niedrig sind.
Dass die Entwicklung insgesamt aber positiv ist, das hat für die Virologin Erika Vlieghe, Vorsitzende der Expertengruppe GEES, die die Regierung berät, einen Grund: Die beschlossenen Maßnahmen und die Anstrengungen aller, sich an die Regeln zu halten, beginne, Früchte zu tragen, sagte sie am Dienstagmorgen in der VRT. Es sei auch sicher ermutigend, dass in der Provinz Antwerpen und andernorts in Flandern ein Abwärtstrend zu beobachten sei.
Allerdings warnte sie davor, zu früh in Jubelgeschrei auszubrechen und zu glauben, dass alles in Ordnung sei. Das sei nämlich absolut nicht so. Man dürfe nicht glauben, dass man es schon geschafft habe, erklärte Vlieghe. Und man dürfe sicher nicht glauben, dass man nichts mehr tun müsse und schon alles jetzt wieder von selbst in Ordnung komme. Für verschiedene Orte glaubten die Experten das nämlich nicht. Im Gegenteil, hier müsse man mehr tun.
Maskenpflicht nicht ausreichend
Der anhaltende Vormarsch des Virus betreffe auch nicht nur Brüssel, auch wenn es als Hauptstadt besonders im Fokus stehe und hier besonders viele Menschen auf engem Raum lebten, sondern auch andere Orte.
In Brüssel war ja wegen der Ausbreitung des Virus eine allgemeine Maskenpflicht eingeführt worden, eine Maßnahme, die die Virologin kritisch sieht. Die Erfolge andernorts hätten doch gezeigt, dass man mit einem lokalen und bestimmten Maßnahmenpaket viel erreichen könne. Die Zahlen bekäme man nicht mit einer einzelnen Maßnahme nach unten, sondern nur mit einer Kombination verschiedener Regeln.
Sie bedauere es etwas, dass in der Hauptstadt allein auf den Effekt von Mundschutzmasken vertraut würde. Nicht, dass Masken nicht gut seien, aber als Einzelmaßnahme sei das eben nicht gut genug. Das sieht im Übrigen auch die Evaluierungsstelle CELEVAL so. In einem Gutachten, über das die Zeitung De Tijd am Dienstag berichtet, bewerten die Experten die Brüsseler Maskenpflicht ohne weitere begleitende Maßnahmen als unzureichend und ungeeignet, um die Neuinfektionen unter Kontrolle zu bringen.
Vielmehr bedürfe es, und da sind sich Erika Vlieghe und auch die CELEVAL einig, vor allem einer intensiven, deutlichen und nachhaltigen Aufklärungskampagne in den besonders betroffenen Vierteln und auch Altersgruppen. Wie zuvor in Antwerpen treten die meisten Infektionen in der Hauptstadt nämlich in den ärmsten und am dichtesten besiedelten Stadtvierteln auf.
Vlieghe warnt vor Jojo-Effekt
Mit Hinblick auf die kommende Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates hoffen derweil wahrscheinlich viele Menschen im ganzen Land, dass die zuletzt beschlossenen strengeren Regeln wieder gelockert werden. Diese Erwartungen dämpfte Erika Vlieghe aber, auch wenn sie sich zu Details, was am Donnerstag genau auf der Agenda stehen wird, nicht äußern wollte.
Epidemiologisch betrachtet sei Belgien absolut noch nicht wieder in einer Situation wie Anfang Juli angelangt, erklärte sie. Man müsse ein gutes Gleichgewicht finden, dass wir als Gesellschaft auch langfristig halten können.
Wenn man das nicht schaffe, dann drohe ein Jojo-Effekt, ein ständiges Auf und Ab der Zahlen. Und das werde erstens alle in den Wahnsinn treiben und zweitens könne man das Virus so auch nicht auf Dauer und sicher unter Kontrolle halten, warnte Vlieghe.
Kontaktblasen
Auch der Virologe Marc van Ranst hat sich geäußert. Er ist dagegen, die Kontaktblase von derzeit fünf Personen pro Haushalt zu vergrößern. Seiner Meinung nach ist das die einzige Möglichkeit, einen kompletten Lockdwon zu vermeiden.
Der Epidemiologe Yves Coppieters von der Freien Uni Brüssel hingegen kritisiert das Konzept der Kontakblase. Es sei nicht bewiesen, dass sie das Virus eindämmten, so Coppieters in der RTBF. Er hält die Kontaktblase von fünf Personen angesichts der derzeitigen Lage für übertrieben klein. Allerdings gelte es weiterhin Abstand zu halten und Mundschutzmasken zu tragen - besonders wenn man Menschen außerhalb der Familie in geschlossenen Räumen trifft.
Am Donnerstag kommt der Nationale Sicherheitsrat zusammen. Er will dann über die Maßnahmen gegen das Coronavirus erneut beraten.
Corona: Neuinfektionen gehen leicht zurück, Krankenhausaufnahmen und Todesfälle steigen
Boris Schmidt