Der bekannteste Ammoniumnitrat-Unfall in jüngerer Vergangenheit ist wohl die Explosion in der Düngemittelfabrik AZF im südfranzösischen Toulouse. Damals kamen 31 Menschen ums Leben, rund 1.300 weitere wurden verletzt. In Belgien gab es übrigens 1942 auch eine solche Katastrophe mit Ammoniumnitrat mit fast 189 Toten.
Der Begriff "Ammoniumnitrat" ist aber auch schon im Zusammenhang mit Sprengstoffanschlägen gefallen. Der bekannteste Fall ist das Attentat von Oklahoma-City 1995. Mit einer Mischung aus Dieselkraftstoff und Ammoniumnitrat sprengte der Täter ein ganzes Gebäude in die Luft und tötete 168 Menschen.
"Für Ammoniumnitrat gibt es in der Regel eben diese beiden Verwendungszwecke", sagte auch Gert Verreth, Sprecher des Verbands der Chemieindustrie (Essenscia) in der VRT. "In Belgien wird Ammoniumnitrat aber heute nur zur Herstellung von Kunstdünger verwendet, nicht für Sprengstoff."
Der Stoff, der in Beirut explodiert ist, war anscheinend Ammoniumnitrat, das zur Herstellung von Sprengstoff dient. Und das ist konzentrierter und damit wesentlich gefährlicher als der Grundstoff, der zu Kunstdünger verarbeitet wird. Prinzipiell ist also das Ammoniumnitrat, das in Belgien verwendet wird, schon deutlich weniger "explosiv".
"Wenn es sachgemäß gelagert wird, dann ist die Gefahr eigentlich relativ überschaubar", sagt Gert Verreth. Was nicht heißt, dass es dafür ungefährlich wäre. An drei Orten in Belgien wird Ammoniumnitrat gelagert: Bei BASF im Hafengebiet von Antwerpen, und in zwei Unternehmen in der Provinz Hennegau.
Strenge Auflagen
Die RTBF hat die Düngemittelfabrik Yara in Tertre bei Mons besucht. "Wir sind ein Seveso-Betrieb", sagt gleich der Risikobeauftragte des Unternehmens, Benjamin Yannart. "Und wir unterliegen strengen Auflagen in puncto Präventions- und Schutzmaßnahmen."
Das Ammoniumnitrat, das in Tertre gelagert wird, ist mit Kalzium ummantelt, sagt der Risikobeauftragte. So wird das Risiko kleiner, dass es zu einer fatalen chemischen Reaktion kommt. Obendrauf gelten dann aber noch einmal strenge Auflagen in Bezug auf die Lagerung - eine ganze Liste, die durch internationale Standards definiert wird. Zum Beispiel gibt es eine Reihe kleiner, abgegrenzter Boxen und es muss für ausreichend Luftzirkulation gesorgt werden.
Und das Ganze wird natürlich auch kontrolliert. Ein externes Unternehmen sei damit beauftragt, die Einhaltung der Standards zu überprüfen, sagt Risk-Manager Benjamin Yannart. Zwei bis drei Mal im Jahr kämen die Inspektoren vorbei, durchaus auch unangemeldet. Um das Firmengelände herum gibt es auch eine Art Bannmeile für Neubauten, wobei einige ältere Häuser durchaus noch in unmittelbarer Nähe stehen. Das Unternehmen verfügt aber über eine Reihe von Notfallplänen, unter anderem natürlich auch eine Notabschaltung der Produktionslinie.
Da wird also nichts dem Zufall überlassen. Und, wie nicht nur die Katastrophe von Beirut zeigt, völlig zu recht. Klar: Ein Nullrisiko gibt es nicht. Aber nach dem, was man im Moment über die möglichen Ursachen der Explosion vom Dienstagabend weiß, war das schicksalhafte Lagerhaus im Hafen von Beirut eine tickende Zeitbombe. Und so etwas kann man hierzulande wohl ausschließen.
Roger Pint