Konkreter Anlass für die neu aufgeflammte Diskussion um Geschworenengerichte ist zum einen die Tatsache, dass im kommenden Jahr der Prozess zu den Anschlägen von Brüssel beginnen soll. Als "Jahrhundertprozess" wird der schon bezeichnet. Zwölf Geschworene sollen dann über insgesamt 30.000 Anklagepunkte entscheiden. Neun Monate soll das ganze mindestens dauern, rund 20 Millionen Euro kosten. 24 weitere Bürger müssen sich als Ersatz-Geschworene bereithalten.
Auf all diese Dinge verweist Justizminister Koen Geens, wenn er sagt: "Wer kann schon neun Monate lang zur Verfügung stehen? Dazu kommt noch die Angst bei den Geschworenen, mögliche Krankheiten, Ersatzpersonen, die Probleme, die dabei auftauchen. Viele Menschen fragen sich deshalb auch, ob diese Art des Gerichtsverfahrens noch in unsere heutige Zeit passt."
Geens und seine Partei, die CD&V, sind für eine grundlegende Reform des belgischen Gerichtswesens. Geschworenengerichte dabei abzuschaffen, könnten sich die flämischen Christdemokraten durchaus vorstellen.
Unterstützung bekommen sie dabei von zumindest einem Föderalstaatsanwalt. Im VRT-Fernsehen verwies Frédéric Van Leeuw am Sonntag ganz klar auf den antiquierten Anstrich solcher Gerichtsprozesse: "Geschworenengerichte, das ist ein Modell aus dem 19. Jahrhundert", sagte er. "Damals konnten die Menschen nicht lesen, es gab keine DNA-Analysen. Es gab kein Telefon – es gab nichts."
Außerdem, fügt der Föderalstaatsanwalt hinzu, dauern Prozesse mit Geschworenen viel länger als andere Prozesse. Das liege daran, dass Geschworene keine Vorkenntnisse von den Dossiers der Fälle hätten. Und die Chancen, dass Verfahrensfehler bei einem Geschworenengerichtsprozess gemacht würden, seien natürlich auch viel größer als sonst.
Aber so einfach abschaffen kann man das System der Geschworenengerichte nicht. Die sind nämlich in der belgischen Verfassung als Bestandteil des belgischen Gerichtswesens verankert. Der entsprechende Artikel trägt die Nummer 150.
Doch genau dieser Artikel 150 ist für die laufende Legislaturperiode als ein Artikel der Verfassung freigegeben, der verändert werden darf. Das und die jetzt aufgekommene Diskussion um den Prozess zu den Anschlägen von Brüssel will die N-VA dazu nutzen, Geschworenengerichte abzuschaffen. Ihre Partei werde dazu die Initiative ergreifen, sagt die N-VA-Vorsitzende des Rechtsausschusses in der Kammer, Kristien Van Vaerenbergh. Diese Abschaffung sei schon seit längerem eine Forderung ihrer Partei.
Ganz so einfach wird es aber nicht gehen mit der Abschaffung der Geschworenengerichte. Denn für eine Verfassungsänderung ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig. Und die scheint beim Thema Geschworenengerichte zumindest heute noch nicht gegeben. Allein bei den flämischen Parteien sind Grüne, Sozialisten und auch der rechtsextreme Vlaams Belang angeblich gegen eine solche Abschaffung.
Mit Bezug auf den Prozess zu den Anschlägen in Brüssel sagt dann auch der SP.A-Kammerabgeordnete Ben Segers: "Der Föderalstaatsanwalt hat natürlich vollkommen Recht wenn er sagt, dass zurzeit ein Geschworenengericht überfordert wäre mit solchen äußerst komplexen Angelegenheiten. Aber als SP.A sagen wir auch: Man sollte das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Geschworenengerichte an sich sollen bestehen bleiben."
Kay Wagner