Auf Englisch begrüßte Charles Michel das erste Mal als EU-Ratspräsident die wartenden Journalisten im Brüsseler Ratsgebäude. Und vielleicht war dann doch ein bisschen Aufgeregtheit dabei, als Michel den Journalisten noch einen "Guten Morgen" wünschte, obwohl es mittlerweile schon kurz vor halb eins war.
Wie es sich für den gastgebenden Präsidenten gehört, war Michel der erste Hauptakteur im Brüsseler EU-Ratsgebäude. Er nutzte die Chance, um den zentralen Punkt des Treffens zu umschreiben: "Wir werden heute einen wichtigen Gipfel haben, bei dem es hauptsächlich um die Frage des Klimawandels gehen wird. Es geht darum, Europa als ersten Kontinent klimaneutral zu gestalten."
Nachdem die EU-Kommission am Mittwoch schon in ihrem neuen Klimaprogramm, dem Green Deal, genau das gleiche Ziel formuliert und mit 2050 auch schon ein Datum genannt hatte, wann diese Klimaneutralität erreicht werden soll, scheint es nur logisch, dass dieses Ziel auch von den Gipfelteilnehmern bestätigt wird. Denn ohne den Willen der EU-Mitgliedstaaten wird es nicht gehen, dann würden wichtige Gesetze in den kommenden Jahren nicht verabschiedet werden können.
Doch nachdem der Beifall im Europaparlament zum Green Deal noch ziemlich laut ausfiel, war schon vor dem Gipfel klar, dass die Stimmung bei den Mitgliedsländern gedämpfter sein würde. Die Stellungnahmen einzelner Staats- und Regierungschefs bei ihrer Ankunft im Ratsgebäude machten das deutlich.
Klimaneutralität? Okay, aber dann nur mit mehr Atomenergie. Diesen Standpunkt vertritt zum Beispiel Tschechien. "Ohne Atomenergie ist es für Tschechien nicht möglich", sagte der tschechische Ministerpräsident Andrej Babic. Tschechien vertritt diese Haltung, weil dieses Land genau wie Polen und Ungarn noch einen Großteil der Energie aus Kohle gewinnt. Die Kohlenutzung steht einem klimaneutralen Europa aber im Wege.
Kernenergie ist quasi CO2-frei, birgt aber bekanntlich andere Gefahren. Österreich ist deshalb zum Beispiel gegen mehr Kernenergie im Nachbarland Tschechien. Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein unterstrich: "Unsere Haltung ist klar: keine Nuklearenergie. Wir stützen die Klimaziele 2050, aber ohne Nuklearenergie, die nicht sicher ist und nicht nachhaltig."
Nur wenige Meter neben der österreichischen Regierungschefin sprach da gerade Frankreichs Emmanuel Macron. Und er stützte die Position Tschechiens. "Die Kernenergie gehört zum Energiemix dazu", sagte Macron. "Kernenergie ist Teil der Übergangsphase. Für die Länder, die ihre ganze Energie aus Kohle beziehen, ist es klar, dass sie nicht von heute auf morgen auf erneuerbare Energien umstellen können. Das ist nicht möglich."
Wie dieser Streit gelöst werden kann, war vor dem Gipfel nicht klar. Tschechien, Polen und Ungarn drohen damit, der Klimaneutralität nicht zuzustimmen, wenn ihnen keine Atomenergie erlaubt wird. Nicht nur Österreich ist strikt dagegen.
Wie die Lösung aussehen könnte, das wagte auch Sophie Wilmès nicht zu prophezeien. Sie sagte lediglich: "Ich habe das Gefühl, dass der Wille vorhanden ist, eine Einigung zu erzielen. Ich hoffe natürlich, dass sich das in einer gemeinsamen Erklärung niederschlagen wird."
Noch vor dem Abendessen wollen die Gipfelteilnehmer das Thema Energie und Klima abgeschlossen haben. Danach soll es laut Michel um das zweite wichtige Thema gehen: den europäischen Haushalt. "Da werden wir uns darüber unterhalten müssen, wie ehrgeizig wir sein wollen."
Eine Einigung beim Thema Haushalt wird für Donnerstagabend gar nicht erst angestrebt. Michel würde wohl schon zufrieden sein, wenn sich die Positionen zwischen mehr oder weniger Investieren etwas annähern würden.
Kay Wagner