Vor knapp zehn Jahren, am 15. Januar 2010, passierte in der kleinen Ortschaft Buizingen südlich von Brüssel ein schlimmes Zugunglück: Ein Regionalzug auf dem Weg von Löwen nach Braine-Le-Comte hatte ein Haltesignal überfahren, befand sich auf dem falschen Gleis und prallte dort dann mit einem entgegenkommenden IC fast frontal zusammen. 19 Menschen starben, mehr als 300 wurden verletzt.
Am Dienstag ist das Urteil im Prozess zum Zugunglück verkündet worden. Alle drei Angeklagten - die belgische Bahn SNCB, den Betreiber der Bahninfrastruktur Infrabel und den Lokomotivführer, der ein rotes Haltesignal übersehen haben soll - treffe Schuld, befand der Richter.
Alle drei hätten Verantwortung für den Unfall - allerdings in unterschiedlicher Schwere. Vier Fünftel der Verantwortung trügen die beiden Unternehmen SNCB und Infrabel. Und das zu gleichen Teilen. Sie hätten nicht genug in die Sicherheit des Schienennetzes und des rollenden Materials investiert. Ein automatisches Bremssystem habe es nicht gegeben an den Gleisen. Am Tag des Unfalls sei der Regionalzug zudem von einer Lok gezogen worden, die nicht für den Zug zugelassen gewesen sei.
"Dieser Unfall ist nicht dem Schicksal geschuldet", sagte der Richter. "Oder – wie es auch der Staatsanwalt formuliert hat: Die Opfer sind nicht in völliger Sicherheit gestorben." Hätten Bahn und Infrabel in modernste Sicherheitsvorrichtungen investiert, wäre der Unfall nicht geschehen. So das Schlussurteil des Richters.
Beiden Unternehmen wird eine Strafe von 550.000 Euro auferlegt. Infrabel muss davon allerdings nur die Hälfte zahlen. Damit blieb der Richter unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Sie hatte für die SNCB eine Strafe von 700.000 Euro gefordert, für Infrabel 650.000 Euro.
Lokführer trifft geringere Schuld
Eine Schuld treffe auch den Lokführer, so der Richter. Aber eine viel geringere Schuld als SNCB und Infrabel. "Der Lokführer ist das letzte Glied in einer Kette, und er darf nicht alleine die Schuld für den schlimmen Unfall aufgebürdet bekommen", begründete der Richter. Genau das aber hatten SNCB und Infrabel während des Prozesses versucht: Der Lokführer hätte eben das rote Haltesignal überfahren - wäre das nicht geschehen, wäre es auch nicht zu dem Unfall gekommen.
Der Richter folgte dieser Argumentation nicht. Und auch die 37.000 Euro an Schadensersatzzahlungen, die dem Lokführer auferlegt wurden, soll die SNCB für ihren Mitarbeiter bezahlen. "Er ist zum Teil zufrieden", sagte der Anwalt des Lokführers der RTBF. "Zufrieden natürlich deshalb, weil anerkannt worden ist, dass die Hauptverantwortlichkeit für den Unfall bei Infrabel und der SNCB liegt. Allerdings hätte er sich einen Freispruch für seine Person gewünscht. So, wie wir das auch beantragt hatten", sagte Anwalt Antoine Chomé.
Anscheinend überlegt der Lokführer tatsächlich, gegen das Urteil Einspruch zu erheben. Laut seiner Anwälte beteuert er weiterhin, kein rotes Haltesignal überfahren zu haben. Einen Monat hat der Lokführer Zeit, Berufung einzulegen. Gleiches gilt auch für Infrabel und die SNCB. Laut Bahnsprecher Vincent Bayer wird die SNCB diese Möglichkeit jetzt auch durchaus prüfen.
Damit ist weiter nicht klar, ob jetzt endlich ein Schlussstrich gezogen werden kann unter die langjährige Saga um den Prozess zum Zugunglück von Buizingen. Oder ob doch noch eine Fortsetzung folgt. Eine Antwort wird es spätestens in einem Monat geben.
Kay Wagner