Sophie Wilmès scheint sich durchaus bewusst zu sein, welches Amt sie am Sonntag übernommen hat. Und zu welchem Zeitpunkt.
Sie ist nicht eine Premierministerin einer voll funktionsfähigen Regierung mit Mehrheit im Parlament, sondern "nur" eine Premierministerin mit äußerst eingeschränktem Handlungsspielraum. Als Nachfolgerin von Charles Michel übernimmt sie auch seine Situation: die als Chef einer Minderheitsregierung, die nach den Wahlen nur geschäftsführend so lange im Amt ist, bis eine neue Föderalregierung gefunden ist.
Wilmès selbst drückt das so aus: "Mein Aktionsradius ist tatsächlich ziemlich beschränkt. Meine Hauptaufgabe wird deshalb darin liegen, die Funktionsweise des Staates weiter aufrecht zu erhalten und die größtmögliche Stabilität für alle zu garantieren."
Eigene inhaltlich politische Ziele, die sie jetzt als Premierministerin verfolgen will, hat Wilmès nicht - eben aus Rücksicht auf diese außergewöhnliche Situation, in der sie die Regierungsführung übernimmt: "Das ist eine Situation, die nicht andauern kann und darf im Interesse der Belgier und im Interesse von Belgien.Wir brauchen schnell eine neue, voll funktionsfähige Regierung, die alle Möglichkeiten hat, die notwendigen Maßnahmen zu treffen", sagte sie am Montagvormittag in der RTBF.
Dass diese neue Regierung so schnell wie möglich gefunden wird, das sieht Wilmès als eines ihrer wichtigsten Ziele. Im flämischen Fernsehen sagte sie übrigens das gleiche - und zwar in sehr sattelfestem Flämisch. Sicher ein Pluspunkt für die MR-Politikerin, die im nördlichen Landesteil wenig bekannt ist.
Schon am Sonntag und auch am Montag in vielen Zeitungsbeiträgen wurde hervorgehoben, dass Wilmès die erste Frau im Amt des belgischen Premierministers ist. Die erste Frau seit knapp 200 Jahren und 51 männlichen Vorgängern. Auch das wäre grundsätzlich ein Grund, um stolz zu sein. Doch auch hier gibt sich Wilmès bescheiden: "Ich glaube, niemand wird sich darüber beklagen, dass endlich mal eine Frau diese Funktion ausüben kann. Vielleicht müsste man sich nur fragen, warum das nicht schon früher mal passieren konnte", sagte sie am Sonntag.
Am Montag fügte die 44-Jährige hinzu: Eine Frau als Premierministerin, "das schafft auf jeden Fall einen Präzedenzfall. Und wenn das ein positiver Präzedenzfall sein sollte für die Frauen in unserem Königreich, besonders für die jungen Frauen, umso besser."
Eine Premierministerin ohne wirkliche Macht, eine Regierungszeit, die nicht lange dauern wird, am Donnerstag schon eine schwierige Haushaltsdebatte in der Kammer, wo der Nothaushalt für den Monat November aufgrund von Forderungen der Opposition im Parlament nicht angenommen werden und es dann zu einem Knall kommen könnte: Ob sie es nicht schon bereut habe, den Posten angenommen zu haben, wollte am Montagvormittag die RTBF-Journalistin wissen. Wilmès war klar in ihrer Antwort: "Absolut nicht", sagte sie und begründete: "Das Pflichtgefühl hat immer die Oberhand behalten in meinem Leben. Und vor allem darf man auch nicht vergessen, dass es immerhin eine große Ehre ist, Belgien und den Belgiern zu dienen."
Kay Wagner