Dieser Schritt war unausweichlich. Nachdem Charles Michel Anfang Juli von den EU-Staats- und Regierungschefs zum neuen Präsidenten des Europäischen Rats gewählt worden war, war klar, dass Michel sich bis Anfang Dezember aus der nationalen Politik zurückziehen muss. Jetzt hat Michel diesen Schritt vollzogen. Ohne große Vorankündigungen, überraschend schnell.
Erst am Freitag gab er bekannt, im November kein Premierminister mehr sein zu wollen. Schon am Samstag wurde mit Sophie Wilmès der Name seiner Nachfolgerin verkündet. Am Sonntag dann der offizielle Wechsel von Michel zu Wilmès vor König Philippe.
"Emotionaler Augenblick"
"Das ist jetzt schon ein emotionaler Augenblick für mich", sagte Michel kurz danach. "Es war ein sehr intensives Leben in den vergangenen fünf Jahren. Premierminister zu sein ist, das heißt einen Job auszuüben, der ganz wörtlich außergewöhnlich ist, nämlich anders, als jeder gewöhnliche Job. Er hört nie auf." Rückblickend habe er das Gefühl, sehr viel gearbeitet zu haben, sehr aktiv gewesen zu sein, sagte Michel.
"Ich wurde aber auch sehr viel kritisiert in der demokratischen Debatte, in der ich exponiert war", fügte Michel hinzu. Um sich gleich darauf zu rechtfertigen: "Ich glaube, dass man in einigen Monaten oder einigen Jahren, wenn man mit mehr Abstand auf die vergangenen fünf Jahre schaut, erkennen wird, dass viele Fortschritte erzielt werden konnten, um das Land wirtschaftlich zu stabilisieren und dadurch auch in sozialer Hinsicht zu stärken, weil es mehr Arbeitsplätze gibt."
Schwierige, politische Umstände
In seine Amtszeit seien auch die Terroranschläge in Brüssel gefallen. Die hätten deutliche Spuren sowohl in seiner Persönlichkeit als auch in seinem politischen Handeln hinterlassen, so Michel. Die Sicherheitspolitik habe plötzlich viel Platz eingenommen.
Nach den Anschlägen habe sich die Regierung auch stark darum bemühen müssen, das Image von Belgien wieder gerade zu rücken. Belgien habe als schwacher, als verpfuschter Staat dagestanden. Gegen dieses Urteil habe man international ankämpfen müssen. Letztlich mit Erfolg: Die überzeugende Wahl Belgiens in den UN-Sicherheitsrat im Sommer 2018 habe die Bemühungen dieser Imagearbeit gekrönt.
"Ich habe das Gefühl, mein Bestes gegeben zu haben unter politischen Umständen, die außergewöhnlich schwierig waren die ganzen fünf vergangenen Jahre über", bilanzierte Michel.
Nachfolgerin Sophie Wilmès
Mit seiner Nachfolgerin Sophie Wilmès ist jetzt erstmals eine Frau Regierungschefin in Belgien. Sie gilt als Vertraute von Michel, und so wundert es nicht, dass Michel nur äußerst positiv über sie spricht. "Sophie Wilmès ist eine intelligente, moderne Frau", sagte er, "die mit beiden Beinen in der Wirklichkeit steht. Sie ist sehr pragmatisch und kennt sich in der Föderalpolitik gut aus. Sie besitzt auch das Vertrauen der Kollegen. Sie ist auch jemand, der kreativ und innovativ denken kann, was dabei helfen kann, Kompromisse zu finden."
Auf seinen neuen Job bei der EU freut sich Michel. "Das ist eine große Verantwortung, die mich interessiert", sagte er. "Ich möchte ein sehr engagierter Akteur auf der europäischen Ebene werden. Und vor allem möchte ich, dass das europäische Projekt so nah wie möglich an die Alltagssorgen der Menschen rücken wird."
Wilmès nimmt bereits am Montag ihre Arbeit als neue Premierministerin auf. Ihr Handlungsspielraum ist allerdings begrenzt. Sie ist geschäftsführend im Amt und steht an der Spitze einer Minderheitsregierung.
Wilmès sagte in der RTBF, es sei für sie eine große Ehre und eine große Verantwortung. Es müsse aber so schnell wie möglich eine neue Föderalregierung gebildet werden.
Am Donnerstag steht in der Kammer die Abstimmung über die sogenannten "provisorischen Zwölftel" für die nächsten zwei Monate an. Das bedeutet, dass die Regierung pro Monat nicht mehr ausgeben darf als ein Zwölftel des Staatshaushalts vom letzten Jahr.
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