Die Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats war am Montag von Premierminister Charles Michel für Mittwoch angesetzt worden. Zuvor war am Wochenende bekannt geworden, dass drei belgische IS-Frauen und ihre Kinder in Freiheit seien. Die Kurden, die das Lager in Ain Issa bis dahin bewacht hatten, hätten das Lager verlassen, um gegen die Türken zu kämpfen.
Das war ein erstes Alarmsignal für die belgische Politik, dass jetzt tatsächlich das eintreten könnte, wovor sich alle immer irgendwie gefürchtet hatten: nämlich, dass die gefangenen IS-Kämpfer und ihre Sympathisanten aufgrund der Kriegshandlungen in Nordsyrien wieder auf freien Fuß gelangen könnten.
Der Leiter des Anti-Terrorstabs Ocam, Paul Van Tigchelt, vermeldete dann am Mittwoch zusätzlich aus dieser Sicht der Dinge eine weitere Hiobsbotschaft. Die Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats schien danach noch einmal dringlicher, als sowieso schon. "Ocam hat auch Information über zwei männliche sogenannte Foreign Terrorist Fighters, also IS-Kämpfer aus Belgien, die auf irgendeine Weise aus einem Gefängnis in Nordsyrien geflohen sind", sagte Tigchelt in der Kammer.
Nicht in Panik verfallen
Neben drei Frauen und ihren Kindern, die vielleicht als Gefahr nicht so groß sind, jetzt also auch noch zwei Männer. Wie groß ist die Gefahr, dass diese jetzt nach Belgien zurückkommen? Und hier eventuell neue Terroraktionen durchführen? Der Ocam-Leiter beruhigt: "Es ist zurzeit kaum wahrscheinlich, dass die ausländischen Kämpfer auf Seiten der Terrormiliz unbemerkt und unkontrolliert aufs europäische Festland kommen können", sagte Van Tigchelt. "Ich sage nicht, dass das unmöglich ist. Aber nur, weil jetzt zwei von diesen Kämpfern geflohen sind, muss man nicht direkt in Panik verfallen."
Die Regierung nahm diesen Rat des Ocam-Chefs dankbar an. Obwohl sie sonst nicht unbedingt auf einer Linie mit ihm ist. Ocam vertritt ja die Auffassung, dass es besser sei, die belgischen IS-Kämpfer und ihre Angehörigen alle nach Belgien zu holen, um sie hier vor Gericht zu stellen.
Eine Forderung, gegen die sich die Regierung bislang immer gewehrt hat. Und auch am Mittwoch änderte sie ihre Haltung nicht. Vize-Premier Alexander de Croo von der OpenVLD gab zwar zu, dass die Situation unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten in Nordsyrien sehr schwierig geworden sei. Aber gegenüber der RTBF sagte er auch: "Wir haben immer die Position vertreten: Verbrechen, die an einem bestimmten Ort begangen worden sind, sollten auch an diesem Ort vor Gericht verhandelt werden. Dieser Logik wird quasi überall auf der Welt gefolgt. Mit der Situation, die sich jetzt geändert hat, muss man aber wohl schauen, ob wir diese Position vielleicht ändern sollten."
Rückführung nicht jetzt
Auch CD&V-Justizminister Koen Geens verteidigte seinerseits bei der VRT noch einmal den Standpunkt der Regierung: Rückführung der gefangenen IS-Kämpfer - nicht jetzt. Und allzu viele Sorgen müsse man sich auch nicht machen. "Ich glaube, dass sich zurzeit zwar in Nordsyrien die geopolitische Lage verändert hat. Aber es gibt bislang keine wirklichen Anzeichen dafür, dass der Konflikt sich so zuspitzen könnte, dass die Lager und Gefängnisse alle geöffnet und von ihren Bewachern verlassen werden. Das scheint mir von heute aus gesehen sehr unwahrscheinlich", sagte Geens.
Und auch bei der MR steht man weiter zu der Entscheidung, die belgischen IS-Kämpfer mit Familien vorerst in Syrien zu lassen. Der Kammerabgeordnete Michel De Maegdt begründet: "Was ich auf keinen Fall möchte, ist, dass wir die Leute zurückholen, ohne dass wir Beweise dafür haben, was sie gemacht haben. Hier werden sie dann verurteilt - oder auch nicht. Und in drei oder fünf Jahren kommen sie wieder aus dem Gefängnis und sind dann frei, um sich wieder zu radikalisieren. Das ist auf eine andere Art noch viel gefährlicher, als das, was in der aktuellen Situation in Nordsyrien jetzt vielleicht passieren könnte."
Kay Wagner