So plötzlich, wie sie gekommen sind, scheinen sie jetzt auch wieder weg zu sein. Deutlich weniger Transitmigranten werden in der Region um die Küste und auf den Wegen dahin aufgegriffen. Deutlich weniger? Die Entwicklung ist eigentlich schon fast spektakulär.
Beispiel: Allein im Juli 2018 hatte die Polizei etwas mehr als 650 Migranten vorübergehend festgenommen. Manchmal sind es dieselben Leute, die den Behörden mehrmals ins Netz gehen, aber dennoch: 650 Fälle. Ein Jahr später, im vergangenen Monat Juli, waren es noch 235 - weniger als die Hälfte. In diesem Monat ist die Entwicklung noch sichtbarer: Im August 2018 waren fast 900 Transitmigranten in der Küstenregion aufgegriffen worden. Bis jetzt waren es in diesem Monat gerade mal 115 - Stand 20. August. Rechnet man das hoch, dann bewegt sich die Zahl also in etwa bei einem Viertel im Vergleich zum letzten Jahr.
Trendbruch
"Das ist eindeutig ein Trendbruch", sagt denn auch der westflämische Provinzgouverneur Carl Decaluwé in der Zeitung De Standaard. Zu beobachten sei der spektakuläre Rückgang der Zahl der aufgegriffenen Transitmigranten schon seit dem Monat Mai.
Das ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass gerade für Menschenschmuggler "Hochsaison" ist. Erfahrungsgemäß nimmt die illegale Migration in den Sommermonaten eher zu als ab.
Er glaube, dass die Schlepper auf Nordfrankreich ausgewichen sind, sagte Gouverneur Decaluwé in der VRT. Von der Region um Calais aus würden die Transitmigranten dann mit kleinen Bötchen nach Großbritannien gebracht. Dort ist der Weg übers Meer ja bekanntermaßen am kürzesten.
Meldungen aus Großbritannien scheinen die These zu bestätigen. De Standaard berichtet unter Berufung auf die BBC, dass seit November 2018 wohl schon 1.000 Migranten übers Meer illegal auf die Insel gelangt sind. Oft erfolge der Transport in kleinen Motorbooten. Manchmal kommen sogar Kajaks zum Einsatz. Die britische und auch die französische Küstenwache würden auch immer mal wieder solche Schiffe aufbringen.
Erklärungsversuche
Decaluwé sieht darin in jedem Fall auch eine Bestätigung der Politik der belgischen Sicherheitskräfte. Vor rund einem Jahr hatten die betroffenen Polizeizonen Alarm geschlagen. Auf den Autobahnrastplätzen Richtung Küste organisierten Schlepper Nacht für Nacht Transporte mit Ziel Großbritannien. Das Phänomen hatte überhand genommen.
Im Zusammenspiel mit dem damaligen Innenminister Jan Jambon wurde also beschlossen, die Gangart deutlich zu verschärfen. Unter anderem wurden die besagten Rastplätze von da an viel konsequenter überwacht. Gleiches gelte für die Häfen. Entsprechend hätten sich die Menschenschmuggler offensichtlich gezwungen gesehen, umzudenken und sich andere Wege zu suchen, sagt Gouverneur Decaluwé.
Brexit
Es gibt da aber möglicherweise noch eine andere Erklärung, eine, an die man im ersten Moment vielleicht nicht denken würde: "Denkbar ist, dass das Ganze auch mit dem Brexit zu tun hat", sagt Carl Decaluwé. Niemand weiß, wie die Welt nach dem 31. Oktober aussehen wird, also nach Ablauf der Frist. Der eine oder andere mag es angesichts dieser Unwägbarkeiten vorziehen, auf dem Kontinent zu bleiben.
Am Ende ist es wohl die Kombination von verschiedenen Faktoren, die an der Basis liegt für den drastischen Rückgang der Zahl der Transitmigranten.
Nur: Auch das kann sich ganz schnell wieder ändern. Dessen sind sich die Behörden in der Küstenregion auch sehr wohl bewusst. Neue Gegebenheiten in Frankreich oder auf dem Meer vor Calais, gewisse, im Moment nur unvorhersehbare Folgen eines No-Deal-Brexit - schnell können sich die Schlepper dazu gezwungen oder ermuntert sehen, wieder auf andere Routen auszuweichen. Gerade im Bereich Menschenschmuggel gilt nämlich: Wo ein Wille - und Geld -, da auch ein Weg.
Roger Pint