Am Montagabend war die Zeitung Le Soir vorgeprescht und hatte vermeldet: Es läuft wohl auf Reynders hinaus. Das Gleiche schrieben dann am Dienstag auch noch andere Zeitungen. Auch sie benennen Reynders als denjenigen, der es wohl werden könnte.
Folgende Begründung wird in den Zeitungen ausgeführt: Nachdem jetzt zweimal hintereinander Flamen Belgien in der EU-Kommission vertreten haben - nämlich Karel De Gucht und aktuell ja noch Marianne Thyssen - sei jetzt mal wieder ein Frankophoner dran.
Aber warum dann jemand von der MR, wo doch schon Charles Michel als MR-Politiker mit seiner neuen Funktion als EU-Ratspräsident einen Top-Job bei der EU bekommen hat, mag man sich fragen. Nun, da gehen die Zeitungen die Parteien durch: Die CDH sei von vornherein ausgeschlossen, wahrscheinlich weil sie aktuell nur Oppositionspartei sein will. Die PTB käme gar nicht in Frage. Ecolo eigentlich auch nicht. Bei der PS sei man - so Le Soir - nicht wirklich an dem Posten interessiert. Bleibt also die MR.
Dann wird vorgerechnet, dass es eigentlich eine Frau sein sollte. Die neue Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen will ihr neues Kollegium von Kommissaren paritätisch besetzt sehen. Hälfte Männer, Hälfte Frauen. Aber zurzeit seien schon mehr Männer, als Frauen als Kandidaten benannt worden. Also sollte es eigentlich eine Frau in Belgien werden.
Aber, so argumentieren die Zeitungen, sei das flexibel handelbar. Und so kommt man halt bei der MR auf Didier Reynders. Was dann auch unausgesprochen bedeutet: Die MR hat keine Frau oder will keine Frau aufstellen, um in die Kommission zu gehen. Und so könnte es tatsächlich Reynders werden.
Dass er willig ist, das Amt auszuführen, davon kann man auf jeden Fall ausgehen. Reynders hatte eigentlich schon vor fünf Jahren in die EU-Kommission wechseln wollen und war auch aussichtsreicher Kandidat. Doch damals war alles noch mit der gleichzeitigen Regierungsbildung in Belgien selbst verknüpft. Die CD&V als Regierungspartner hatte in fast allerletzter Minute auf den Posten des Premierministers verzichtet, um dafür Marianne Thyssen in die Kommission zu schicken. Und so wurde nichts aus den Träumen von Reynders.
Dieses Jahr hatte Reynders sich auch um den Vorsitz des Europarats in Straßburg beworben, wollte also auch wieder weg aus Belgien in eine internationale Funktion. Auch das hat nicht geklappt. Er unterlag in der entscheidenden Abstimmung seiner kroatischen Gegenkandidatin. Wenn er jetzt doch noch die Möglichkeit bekommen sollte, EU-Kommissar zu werden, würde er diese sicher mit Kusshand annehmen.
Wer die Entscheidung letztlich fällt, ist aber nicht ganz klar. Bislang war es wohl so, dass der belgische Kommissionskandidat durch eine Abstimmung im Parlament benannt wurde. Die jeweilige Regierung hatte sich zuvor auf einen Kandidaten geeinigt und konnte diesen Kandidaten dann auch mit ihrer Regierungsmehrheit durchbringen. Aber zurzeit sieht es so aus, dass die aktuelle geschäftsführende Regierung von Michel keine Mehrheit im Parlament hat.
Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder versucht Michel doch noch, möglichst viele andere Parteien für seinen Kandidaten zu gewinnen. Aber bis nächsten Montag dürfte auch dann eine Abstimmung in der Kammer schwierig werden, weil gerade noch parlamentarische Sommerpause ist. Oder aber - und das scheint das Wahrscheinlichste zu sein - Michel entscheidet allein, bzw. in Absprache mit seinen Koalitionspartnern, aber auf jeden Fall ohne breite Mehrheit im Parlament und schlägt Reynders - oder auch jemanden anderen - dann am Montag bei der Kommission vor.
Verfassungsrechtler sagen dazu übrigens: Das kann man wahrscheinlich auch so machen. Aber so eine Entscheidung könnte dann vom Staatsrat noch angefochten werden. Dafür müsste sich aber jemand beim Staatsrat beschweren. Und ob das passiert, kann man heute noch überhaupt nicht sagen. Vieles ist also noch unklar - genauso wie auch die Personalie Reynders noch nicht klar ist.
Kay Wagner